Ein Zufluchtsort im kalten Licht

Der in Kassel lebende Japaner Kazuo Katase hat die Alte Brüderkirche vom Kasseler Kunstverein für eine grandiose Rauminstallation erhalten.

KASSEL „Ich liebe Japan, darum bin ich nicht dort“. Die Liebeserklärung als Widerspruch. Kazuo Katase hat diesen Satz auf die Rückseite seines Kataloges drucken lassen. Damit erklärt er nicht nur seine komplexe Gefühlslage, sondern auch das Wesen seiner Arbeit, in der zwei Weltsichten zusammenfließen.
„Räume der Gegenwelt“ betitelte Katase seinen Katalog, der die vergangenen 25 Jahre seines Schaffens dokumentiert: Um die gegenwärtige Welt sichtbar und fühlbar werden zu lassen, kehrt er deren Gegebenheiten um. So entstehen Bilder der Fremdheit, die in uns eindringen, Erinnerungen und Stimmungen wecken, mit deren Hilfe wir die vertraute Welt neu entdecken.
Kazuo Katases Arbeit ist wesentlich durch die Fotografie und deren Möglichkeiten geprägt: Filter schlucken und verändern das Licht, und im Umkehrprozeß entstehen Werte und Farben, die alles verdrehen. Katase hat auf dieser Basis meisterhafte Räume geschaffen. Die Arbeit, die er nun parallel zur documenta X vorstellen kann, gehört dazu. Der Ort ist die Alte Brüderkirche, ein gotischer Bau. Katase hat diese zweischiffige Kirche in ein begehbares Bild verwandelt, in dem die gotische Architektur selbst zum Ausstellungsgegenstand wird: Quer durch das Hauptschiff ist ein Seil gespannt, das einen Spiegel trägt, auf dem sich für den Besucher ausschnitthaft die Decke abbildet.
„Ort-Raum Götternacht“ nennt Katase die Arbeit. Am Anfang steht die Transformation: Aus dem Haus, das dem einen Gott gewidmet war, wird der Nachtraum für die Götter. Wir befinden uns inmitten der christlichen Welt und werden in die Welt der fremden Mythen versetzt.
Es ist, als träte man in eine helle Nacht: Der Kirchenraum steht in einem kalten weißblauen Licht. Vorne an der einen Säule lehnt ein rötliches Haus, das müde wirkt und das mit seiner verschobenen Konstruktion der Welt entrückt scheint. Aus einem lukenartigen Fenster ragt eine Angel in den weiten Kirchenraum.
Eine seltsame Anmutung entsteht. Jedes Ding beginnt eine Geschichte und bricht dann doch mitten in der Erzählung ab. Man fühlt sich geborgen und ausgesetzt zugleich. In diesem Licht wird man sich selbst fremd.
Nur ganz oben dringen durch ein kleines Fenster rötlich-warme Strahlen. Katase hat die anderen Fenster so abgeschirmt, daß das natürliche Licht übernatürlich erscheint: Götterdämmerung zieht auf.
HNA 6. 8. 1997

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