Von der Straße auf die Straße

Seit 25 Jahren ist der politische Grafiker Klaus Staeck (Jahrgang 1938) mit der documenta verbunden. Wiederum hat er einen Stand für seine Edition in Kassel.

KASSEL Er hat die Kunst zum Störfall gemacht und die Postkarte zum Gefahrengut werden lassen. Seine Bildpostkarten (und Plakate) sind bissig und aufklärerisch. Sie funktionieren seit 25 Jahren, weil Text und Bild im Widerspruch zueinander stehen und der Betrachter für sich diesen Gensatz auflösen muß. Nicht ohne Stolz weist der Heidelberger Rechtsanwalt und Grafiker Klaus Staeck darauf hin, daß die meisten seiner Motive auch nach Jahren noch aktuell seien. Sein absoluter Renner ist das Bild der Dürer-Mutter, unter deren Kopf die Frage steht: „Würden Sie dieser Frau ein Zimmer vermieten?“
Daß er von CDU-Mitgliedern als Gegner empfunden wird, weiß Klaus Staeck. Schließlich hatten viele seiner Motive eine eindeutige Stoßrichtung. Außerdem ist er SPD-Wahlkampfhelfer. Doch was hat er bewirkt – außer intellektueller Lust bei Gleichgesinnten – etwa mit seinen satirischen Pfeilen gegen den Kanzler? Der sei doch seit 1982 unangefochten im Amt. Das mußte er sich kürzlich von einer jungen Frau sagen lassen und das stimmt ihn nachdenklich.
Klaus Staeck ist vieles zugleich: politischer Aufklärer und Künstler, Galerist und Organisator. Als Galerist ist er zusammen mit seinem Bruder Rolf zur documenta X nach Kassel gekommen, um dort in einem Container auf dem Friedrichsplatz vor allem die Postkarten und Plakate des Künstlers Klaus Staeck feilzubieten. „Ich bin“, so sagt er lächelnd, „wieder auf der Straße gelandet.“ 1972 habe er am Rande des Friedrichsplatz auf Tapeziertischen mit dem Verkauf seiner Plakate begonnen, nun sitze er komfortabler und teurer im Container. Dazwischen war Klaus Staeck dreimal (1977, 1982 und 1987) mit seinen Plakaten und Postkarten offizieller Künstler der documenta und prominent im Fridericianum (inklusive Verkaufsstand) vertreten.

Seine 25jährige Verbindung mit der documenta empfindet er als eine „merkwürdige Ehe“. Natürlich ist sie für ihn selbst ein gutes Forum, um sich in Erinnerung zu bringen oder neue Freunde zu gewinnen. Aber das Verhältnis zur Ausstellung ist gespalten. Das fing damit an, daß er 1972 zur Mitarbeit an der documenta-Abteilung „Politische Propaganda“ eingeladen worden war (im Katalog auch aufgeführt ist), dann aber „ausgebootet“ wurde. Auch in den Jahren darauf, als er offiziell als Künstler dabei war, wurde er als Teilnehmer zwar gewollt, aber dann an den Rand gedrängt.
Als die für ihn intensivste documenta hat Staeck die Ausstellung von 1977 in Erinnerung. Da war er ähnlich wie Joseph Beuys (in seiner FIU) nahezu 100 Tage im Fridericianum und diskutierte mit den Besuchern. Obwohl der konzeptionelle Ansatz der documenta X Klaus Staeck entgegenkommt, sieht er sich im Abseits: Die Ausstellungsbesucher, so ist nämlich seine Erfahrung, seien autoritätsgläubig. Sie folgten streng dem Parcours und wechselten im Normalfall nicht zur Container-Zeile am Friedrichsplatz. Insofern gehört auch Staeck zu denjenigen, die bedauern, daß der Platz leer geblieben ist.

HNA 30. 8. 1997

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