Freitag beginnt in der Kunsthalle Fridericianum die Ausstellung In den Schluchten des Balkan
KASSEL. Am Freitagabend wird in der Kunsthalle Fridericianum die bislang größte Ausstellung außerhalb der documenta eröffnet. 88 Künstler hat René Block eingeladen, ihre Arbeiten und Projekte zu präsentieren. Sie kommen fast alle aus dem Teil Europas, den wir mit Krisen und Kriegen, mit Armut und und Nationalismus in Verbindung bringen aus dem Balkan. Wenn wir diese Region wahrnehmen, dann sicher kaum als Kunstlandschaft. Kunsthallendirektor René Block, der dorthin schon früher Kontakte geknüpft hatte, hat von seinen rund zweijährigen Erkundungen auf dem Balkan aber eine reiche Ernte mitgebracht. Ab heute wird das Gros der Künstler zur Fertigstellung der Ausstellung in Kassel sein. Neben den Bildern, Objekten und Video-Installationen bringen sie auch Filme mit, die mittwochs um 22 Uhr und sonntags um 12 Uhr im Bali im Kulturbahnhof gezeigt werden. Beim Aufbau der Ausstellung wird offenbar, dass sich die künstlerischen Arbeiten um zwei zentrale Themen drehen um die Möglichkeiten und Folgen der Gewalt in jeder Spielart und um die Suche nach der eigenen Identität. Zudem zeigt sich, dass sich die Künstler, wenn sie nicht mit den dokumentarischen Mitteln der Fotografie und des Videos arbeiten, sich wie viele ihrer westeuropäischen Kollegen der direkten Ausdrucksmittel bedienen, die die Wirklichkeit bereithält. Sie gehen keine großartigen artifiziellen Umwege, sondern führen die alltäglichen Objekte zusammen. Nehmen wir als Beispiel die Griechin Lina Theodorou. Sie hat ein Wandregal aufhängen lassen, das für das Waschmittel Bleed wirbt. Auf jedem im Regal aufgestellten Waschmittelpaket ist eine Pistole mit einem Klebeband befestigt: handgun. for free Handfeuerwaffe als Zugabe. Dadurch bekommt auch der Name des Waschmittels seinen Sinn, denn bleed heißt bluten. Unmittelbar wird man an den Film Bowling for Columbine erinnert, der davon berichtet, dass es in den USA in einigen Banken eine Waffe zur Kontoeröffnung als Dreingabe gibt. Aber auch auf dem Balkan besteht ein Problem darin, dass man leicht und schnell an Waffen kommen kann. Obwohl nur ein Bruchteil der Arbeiten gestern zu sehen war, zeichnet sich ab, wie tief und immer noch schmerzhaft die Wunden sind, die den Menschen auf dem Balkan während der vergangenen Jahre und Jahrzehnte zugefügt wurden. Ihre Welt, so deutet sich an, ist zerbrochen. Mühsam arbeiten sie daran, aus den Trümmern eine neue Welt aufzubauen. Der Rumäne Iosif Kiraly hat dafür eine sinnfällige Gestaltungsweise gefunden: Er hat Räume und Landschaften aus vielerlei Perspektiven fotografiert. Die unterschiedlichen Bilder, deren Motive sich teilweise überlappen, hat er so auf- und übereinander geklebt, dass wieder ein Ganzes entsteht und dass zugleich sichtbar wird, dass diese Collage nur ein Flickwerk bleiben kann. Die Ausstellung In den Schluchten des Balkan ist vom 30. August bis 23. November im Fridericianum Kassel zu sehen, Mi-So 11-18 Uhr. Heute macht die Künstlerin Alma Suljevic auf dem Spohrplatz in Kassel von 11 bis 12 Uhr eine Performance. Sie verkauft Erde von bosnischen Feldern, die vermint waren.
HNA 27. 8. 2003