Gespräch mit Kunsthallen-Direktor René Block über die Ausstellung „In den Schluchten des Balkan“
KASSEL. Am 29. August beginnt im Fridericianum mit der Ausstellung In den Schluchten des Balkan die für die Kasseler Kunsthalle bislang umfangreichste und ehrgeizigste Ausstellung. Die Schau wird von einem Film- und Performance-Programm sowie einem Symposium begleitet. Im Gespräch mit unserer Redaktion erläuterte Kunsthallendirektor René Block das Projekt. Wie sind Sie dazu gekommen, Ihre erste große Ausstellung nach der Documenta 11 der Kunst auf dem Balkan zu widmen? Block: Nach dem Fall der Berliner Mauer war keine andere Region Europas so intensiven politischen Veränderungen ausgesetzt, wie das Herz der Balkanregion, das ehemalige Jugoslawien. Aber auch die benachbarten Länder, Albanien, Bulgarien und Rumänien, befreiten sich von ihren Diktaturen. Dem politischen Aufbruch war in allen Ländern ein kultureller vorausgegangen. Die vage Überlegung geht zurück auf die Mitte der 90er, als ich einige Balkanländer besuchte. Sie konkretisierte sich im Jahr 2000, als vom Goethe-Institut Belgrad die Einladung kam, ein Ausstellungsprojekt des Stabilitätspakts zu beraten. Die intensiveren Kontakte zu Kuratoren und Künstlern, das Entdecken einer vielseitigen Kunstwelt Südosteuropas, die auch von der Documenta 11 unberücksichtigt blieb, veranlassten mich zu dieser Ausstellung. Sind die künstlerischen Impulse, die von den Balkanländern ausgehen, stärker als in anderen Randzonen? Block: Seit Jahren schon gehen von Randzonen immer wieder überraschend starke Impulse aus. Dennoch glaube ich, dass, bei aller Unterschiedlichkeit, die stärksten Impulse aus der Gegend zwischen Bukarest und Tirana beziehungsweise Istanbul und Zagreb zu vermelden sind. Und da schließe ich auch jene Künstler ein, die ihre Länder verließen und in westlichen Metropolen leben. Der Ausstellungstitel verspricht Entdeckungen und Abenteuer. Was fesselt mehr sind es die Inhalte oder ist es die Art und Weise, wie sich die Künstler äußern? Block: Ich kann da nicht trennen. Ein spannender Inhalt muss auch in einer ihm adäquaten Form vermittelt werden. Und da beides der Fall ist, können wir uns ganz auf die Inhalte konzentrieren. Haben die aus den Balkanländern kommenden Künstler eine gemeinsame Identität oder werden die Besucher der Ausstellung mit unterschiedlichsten kulturellen Vorstellungen konfrontiert? Block: Einige Länder standen Jahrhunderte unter osmanischem Einfluss, einige kaum oder gar nicht. Es gibt von daher keine gemeinsame Identität, die alle Länder und Regionen beträfe. Und doch scheint mir etwas Verbindendes vorzuliegen, das aus der jüngsten Vergangenheit herrührt der Versuch, die se zu bewältigen und eine wenig hoffnungsvolle Gegenwart zu verdrängen. Spielen die politischkritischen Aspekte in den Arbeiten eine größere Rolle, als wir es in Westeuropa gewohnt sind? Block: Das politische Bewusstsein ist selbstverständlich geschärfter als in Westeuropa, auch wenn es nicht in allen Arbeiten sichtbar wird. Aber dort, wo es deutlich ist, kann es bis zum Brutalen gesteigert werden, wie zum Beispiel in einer Arbeit von Maja Bajevic, in der vermummte Personen bosnische Witze erzählen, die während des Krieges entstanden sind. Pflegen die Künstler eine Erzählkultur? Block: Sie erzählen. Verschlüsselt als Fabel, wie das türkische Video, in dem sich zwei Arbeiter in einer Gebirgslandschaft nach dem Weg zur Tate Modern (in London) erkundigen. Ich würde schon von einer neuen Kultur des Erzählens sprechen. Viele Künstler waren lange vom internationalen Kunstdialog abgeschnitten. Haben sie ihre eigenen Ausdrucksformen entwickelt oder haben sie die Stile und Techniken übernommen, die die globale Szene beherrschen? Block: Auch wenn man vom so genannten internationalen Dialog abgeschnitten ist, bedeutet das ja nicht unbedingt, dass man mit Hammer und Meißel gearbeitet hat. Viele Arbeiten, die neue Techniken erforderten, entstanden nur unter ungleich schwierigeren Bedingungen als im Westen. Viele haben gerade dadurch ihren Charme. Welche künstlerischen Medien werden die Ausstellung in Kassel beherrschen? Block: Da es sich nicht um eine historische Balkan-Ausstellung handelt, sondern die aktuelle Szene gezeigt wird, sind naturgemäß die neuen Technologien am präsentesten: Video und Fotografie. Aber es gibt auch Skulpturen, Objekte, Bilder, Zeichnungen in großer Anzahl, sowie eine Reihe von Großplakaten auf dem Friedrichsplatz. Wie viele Künstler haben Sie eingeladen? Block: An eine Größenordnung von 50 Teilnehmern war ursprünglich gedacht. 88 sind es geworden. Das ist also Ihre umfangreichste Ausstellung in Kassel. Stellt sich jeder nur mit einer Arbeit vor? Block: Nur in Fällen, wo bereits eine Arbeit das künstlerische Werk repräsentiert, wird eine Arbeit gezeigt. Sie haben die Unterstützung der Kulturstiftung des Bundes gewinnen können. Was ist das Besondere an diesem Projekt? Block: Für die Kulturstiftung war von besonderem Interesse, dass die Ausstellung den Auftakt zu einer Balkan-Trilogie bildet. Teil 2 soll auf dem Balkan stattfinden und Teil 3 wird eine weitere Ausstellung im nächsten Jahr im Fridericianum. Vor allem die Fortsetzung mit Aktivitäten in den beteiligten Ländern zwischen November 2003 und Mai 2004 unterscheidet unser Projekt von allen bisherigen und allen anderen Balkan-Ausstellungen.
HNA 20. 8. 2003