Lautstarker Protest gegen das Gefällige

Turbulenzen 1968 zur Ausstellungseröffnung – Dritter Teil der Serie „documenta und die Politik“

Wie keine andere documenta zuvor wird die kommende aus dem Blickwinkel politischer Fragestellungen vorbereitet. Deshalb gehen wir in einer zehnteiligen Serie der Frage nach, inwieweit die documenta ein Ort politischer Kunst ist und war.

Die Atmosphäre war aufgeheizt. In der gesamten westlichen Welt erhoben Linke und Studenten lautstarke Proteste gegen die Elterngeneration und die Herrschenden, Establishment genannt. Es war das Unruhejahr 1968. Vier Wochen vor Beginn der documenta 4 war ungewiss, ob die Biennale in Venedig würde eröffnen können. Auch Arnold Bode, der zum letzten Mal an der Spitze der documenta stand, ahnte Böses.
Im Katalogvorwort trat er die Flucht nach vorn an und schrieb: „Zum Establishment gehört auch diese documenta nicht …“ Und weiter: „Die Kunst wird auch politischer … und in einer verwandelten Gesellschaft könnte die Kunst mehr sein als nur das ästhetische Alibi für die Privilegierten.“ Das war ein Kurswechsel um 180 Grad, und Arnold Bode saß zwischen allen Stühlen. Von den politisch-kritischen sowie Aktions- und Fluxuskünstlern wie Jörg Immendorff und Wolf Vorstell musste sich Bode vorhalten lassen, eine harmlos unterhaltende, ganz am Markt orientierte Ausstellung gemacht zu haben. Wohingegen seine Mitstreiter der Vorgänger-Ausstellungen ihm vorwarfen, den Siegeszug der abstrakten Kunst hintertrieben zu haben.
Ganz gleich, wie Bode es drehte – die documenta 4 war nicht einmal in Ansätzen politisch. In Zusammenarbeit mit Jean Leering hatte Bode die documenta den Trends der 60er-Jahre geöffnet – der Pop-Art und der Op-Art. Die Riesenformate begeisterten die Besucher, und der medienkritische Ansatz der Pop-Art wurde nahezu übersehen.
Die documenta 4 hatte Glück. Der Protest der Linken und Aktionskünstler beschränkte sich auf ein Happening zur Pressekonferenz und Störungen während der Eröffnungsfeier. Ansonsten verlief die Ausstellung in geregelten Bahnen. Die ganze Aufmerksamkeit galt eher der Frage, ob es Christo schaffen würde, sein „5600 Kubikmeter Paket“ (Riesenwurst, Phallus genannt) über der Karlswiese zum Schweben zu bringen.
Mit der Pop-Art war wieder ein Stück Wirklichkeit in die documenta eingekehrt. Eine Basis für politische Kunst war sie aber nicht. Nur einzelne Künstler und Werke standen für das Politische. Einer der Künstler war Robert Rauschenberg, der 1968 zum dritten Mal documenta-Gast war und mit seinen Bildcollagen in die gesellschaftliche Realität verwies. Noch radikaler und brutaler tat dies Edward Kienholz in einem begehbaren Raum „Roxys“, der wie eine Geisterbahn menschlicher Triebe wirkte.
Nächste Woche: Mit der Vielfalt der Bildwelten kommt das Politische zum Zug.

HNA 15. 2. 2007

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