Albert Cüppers: Hemdbilder

Eröffnung im Sepulkralmuseum Kassel

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

Solange Albert Cüppers Hochschullehrer im Fachbereich Architektur der Kasseler Universität war, lud er mit schöner Regelmäßigkeit einmal im Jahr in den kleinen Ausstellungsraum am Holländischen Platz oder in seine Diensträume, um Kollegen und Freunden zu zeigen, was er im Laufe eines Jahres begleitend zum Lehrbetrieb produziert hatte. Die Ausstellungen hatten, wenn ich das so pauschal sagen darf, jeweils einen völlig eigenen Charakter, oft ganz konträr zu dem, was man im Jahr zuvor gesehen hatte, aber sie waren meist in sich geschlossen und verrieten bei allem Wechsel die eine Handschrift.
Sie alle kennen das Wort von den zwei Seelen in einer Brust. Albert Cüppers spricht gerne von seiner Zwillingsnatur. Die ist vielen, wahrscheinlich den meisten Künstlern zu eigen, weil sich , wie ich glaube, Kunst immer im Spannungsfeld von Verstand und Gefühl ereignet und ihre Eigenart dadurch gewinnt, dass sie mal mehr von der einen, dann wieder mehr von der anderen Seite Gebrauch macht. Aber wenn von Kopf- und Bauchbildern die Rede ist, muss ich ausschließlich an Albert Cüppers denken – nicht nur, weil er für ich diese Unterscheidung vornimmt, sondern weil ich kaum einen zweiten Künstler kenne, der sich so extremen Schwankungen aussetzt: In einer Phase diszipliniert er sich selbst und malt vornehmlich nach Plan, in der zweiten Phase lässt er seiner Lust, seiner Trauer, seiner Wut und seiner Experimentierlust freien Lauf. Kopf und Bauch – rechter Winkel und konstruktivistische Ordnung hier – gestische Kompositionen und bunte Formenvielfalt dort.

Diese holzschnittartige Charakterisierung aber muss ich einschränken. Cüppers´ malerische Wut mag noch so direkt und kraftvoll sein – sie ist bewusst zugelassen. Ich jedenfalls kenne keine unkontrolliert rauschhaften Bilder von ihm. Selbst seine rasch ausgeführten Tuschezeichnungen zeugen von unmissverständlichem Kunstwollen. Denn noch in der spontanen Geste scheint bei Cüppers das Wissen darum auf, in welchen Bezügen er sich bewegt.

Was will ich mit diesen einleitenden Worten sagen? Dass es in dieser Ausstellung vornehmlich um die Malerei und ihren Zauber geht. Folglich werden Sie vielleicht fragen, warum die Ausstellung gerade hier stattfinde – in einem Museum, das mit seinen Aktivitäten den Tod und das Gedenken umkreist. Nun, die Bilder auf Leinwand und Papier, die hier versammelt sind und die überwiegend in den vergangenen sieben Jahren gemalt wurden, weisen genau in diese Dimension –nicht vordergründig, auch nicht anbiedernd, aber unausweichlich.

Sie sehen in dieser Ausstellung einige Zeichnungen mit ersten Hemdformen, die Albert Cüppers vor 20 Jahren anfertigte. Ich unterstelle, dass sich diese Gebilde eher beiläufig aus der Auseinandersetzung mit Plane, Skulptur, Bahre und Kreuz ergaben. Doch damals interessierte den Maler das Motiv nicht weiter. Er kam in der Folgezeit nur beiläufig darauf zurück. Erst 1995 begann er, sich diesem Thema systematisch zu nähern und, wie es seine Art ist, auszureizen. Denn wenn Albert Cüppers von einem Thema gepackt worden ist, dann lässt er es seinerseits solange nicht mehr los, bis er malerisch alles dazu gesagt hat. Und ich darf Ihnen versichern, dass er immer noch nicht mit dem Hemdmotiv fertig ist. Sie sehen hier unter anderem ein leuchtend grünes und ein intensiv rotes Bild, die zur Premiere der Ausstellung in der Berliner Matthäus-Kirche noch gar nicht trocken waren. Er arbeitet noch daran.

Wie intensiv Cüppers das ihn nun fesselnde Thema erforscht, können Sie beim Studium dieser reichen Serie erfahren. Sie verfolgen einen Weg, der vom banalen T-Shirt zum wolkig-blauen Himmelhemd, zum Totenhemd, zum Hemd in Kreuzesform und zum Auferstehungshemd führt. Das Hemd, das seinen Träger, den Menschen, symbolisiert, verweist zwangsläufig auf das Lebensende, auf den Tod. Den Werken wohnt damit etwas Existenzielles und damit auch Religiöses inne. Aber gleichzeitig überstrahlen die Bilder die Erinnerung an den Tod; sie sind kraftvolle Zeugnisse einer malerischen Kultur, die sich der Farbe mit Lust und Verstand hingibt und sich oftmals strengster konstruktiver Mittel bedient.

Insofern ist die Serie der Hemdbilder ein Musterbeispiele für eine geplante, forschende Malerei, für die Kopfbilder. Ihre Zuspitzung erfährt diese Arbeitsweise in den Gemälden, in denen Cüppers das serielle Prinzip auf einzelne Kompositionen überträgt, in denen neun, 30 oder 60 Hemdbilder konzentriert werden. In diesen Bildern, in denen Cüppers sein Schlüsselmotiv ballt und verdichtet, scheint es sich zugleich zu verlieren, weil die Abstraktion Oberhand gewinnt und man vor allem von Balken rhythmisierte Farben sieht.

Ihren Höhepunkt erreicht dieses serielle Prinzip in den Triptychen, die die Tradition der Altarbilder aufnehmen. Auf der Mitteltafel, auf der oft der Kreuzestod Christi dargestellt ist, sieht man die Leere, wie sie sich auf dem Hemd, dem Totenhemd, abbildet. Dort also, wo der Maler an die wort- und bilderreiche Überlieferung anknüpft, nimmt er sich am stärksten zurück, lässt er die Farbe still als freien Gedankenraum hervortreten. In den Feldern darum herum löst sich die Vielzahl der Hemdbilder auf, sie verschwindet hinter einer Klaviatur der Linien und Farben. Der Blick wird frei für das Wesen seiner Malerei.

Die Arbeit an der Serie wäre für Cüppers spannungslos, würde sie sich darin erschöpfen. So leicht wird der Kopfmaler den Bauchmaler nicht los. Geht man die Einzelbilder genau durch, entdeckt man, dass es nicht nur die wechselnden Farbharmonien sind, die die Kompositionen unterscheiden. Immer wieder fällt sich Cüppers spielerisch selbst ins Wort und findet Wege, das einmal gewählte Prinzip aufzubrechen, ohne es zu verlassen. Hier lehnt eine Schatten werfende Leiter an einem Hemd, das wie eine Wand im Raum steht, da besteht ein Hemd aus lauter Bandagen und dort schließlich scheint sich das Hemd zu einer gebauten Hausform zu verfestigen. Und in zahlreichen Bildern finden Sie kleine gegenständliche Motive, die geheimnisvolle Geschichten andeuten oder Freundschaftszeichen für Vorbilder und Wegbegleiter enthalten.

Lassen Sie mich auf zwei Gemälde etwas näher eingehen. Nicht zufällig stehen sie am Anfang und am Ende des Kataloges und nicht zufällig haben sie das gleiche Zentralmotiv – ein Auferstehungshemd. Das erste Bild –„Rasenstück mit Waffen und Auferstehungshemd“ – stammt aus dem Jahre 1985. Es wurde also zu einer Zeit gemalt, als Albert Cüppers von der späteren Intensität der Serie noch nichts wusste, als das Motiv vielmehr eine einsame Projektion war. Weder birgt es die farbliche Intensität der späteren Bilder noch die konstruktive Strenge. Aber es weist den Weg dorthin und es öffnet den Zugang zu den anderen Bildwelten von Cüppers. Sie sehen als Grund einen kräftig und spontan gemaltes Rasenstück. Der gestische, ungestüme Strich ist nicht zu übersehen. In der Mitte entdeckt man merkwürdige, surreal anmutende, spitz und scharf wirkende Gestänge und Stelen. Der Bildtitel spricht von Waffen. In dem einen oder anderen Fall mag man auch eine Waffe erkennen. Doch überwiegend sind das für mich die Waffen des Malers. Ich weiß, dass ich mich damit auf das Feld der Spekulation begebe, aber warum soll der Maler Cüppers nicht mal einen Bedeutungszusammenhang geschaffen haben, den er nicht geplant hatte? Also: Wie nach einem Sturm stehen die so genannten Waffen verloren und zerzaust in der Landschaft. Die Malerei, die sich in dem hingestrichelten Grasboden vital zu erkennen gibt, ist diesen Gerüsten, die an Staffeleien erinnern, verloren gegangen. Aber, so könnte man das Bild deuten, man braucht diese Waffen und den Maler gar nicht. Denn das verheißungsvolle Motiv, Zeichen, das Auferstehungshemd, hat sich von allein zum am Himmel schwebenden Bild verselbständigt. Oder: Die tot gesagte Malerei, deren Waffen verkümmert sind, feiert ihre Wiedergeburt und lässt als Symbol dafür das Auferstehungshemd als malerisches Zeichen über dem Horizont leuchten.

Auf jeden Fall haben Sie hier ein Gemälde vor sich, das zur anderen Natur von Cüppers gehört, das in die Richtung der spontaneren und direkteren Bauchbilder verweist. Es gibt übrigens noch andere Werke in der Ausstellung, die von der zweiten Natur zeugen. Das ist beispielsweise einmal das Bild aus einer Dreiergruppe, auf dem die Fläche des Hemdes die rötliche Fläche mit vielen kleinen Bildzeichen zugemalt und verlebendigt worden ist; und dann finden Sie ein kleines Gemälde, in dem ein Hemd körperlich bewegt aus der strengen Reihe tanzt, so, als wollte es die Verbindung zum lebendigen Menschen nicht aufgeben.

Das andere Gemälde, auf das ich eingehen möchte, ist ebenfalls ein kleines Format. Es ist erst im vorigen Jahr entstanden und trägt den Titel „Auerstehungshemd, a` Rueland Frueauf. Bereits der Titel enthält eine Verbeugung vor dem spätgotischen Maler Frueauf, auf dessen Werk Cüppers Bezug nimmt. Wie nur in wenigen Werken nimmt das weiße Hemd in der unübersehbaren Kreuzesform die dominierende Stellung ein. Nach vorne getragen wird das Weiß durch den braunen Grund, der es umgibt. Es wird fast zum skulpturalen Zeichen, zum Kreuz selbst. Seine Bedeutung als Auferstehungshemd aber gewinnt es durch den unten ruhenden Sarkophag, dessen geöffneter Deckel das leere Grab, die Auferstehung andeutet. Der schräg liegende Deckel enthält die ganze Botschaft, er bringt auch Bewegung in das ansonsten starre Bild. Dieses so fest in sich gebaute, von klaren Linien beherrschte Gemälde bildet den Gegenpol zu der anderen Komposition mit dem Auferstehungshemd.

Es ist reizvoll und lohnend, durch die Ausstellung zu gehen und aufzuspüren, welche unterschiedliche Formen der Maler den Hemden verpasst hat und wie er nahezu jeder Komposition einen eigenen Bedeutungszusammenhang zuweist. An den von Pfeilen durchbohrten heiligen Sebastian wird erinnert oder es wird eine Grundform der Architektur beschworen.

Sie können aber auch einen ganz anderen Rundgang machen, indem sie für einen Moment die Hemden als Grundmuster vergessen und sich ausschließlich auf das Zusammenspiel der Farben und das Wesen der Malerei konzentrieren. Denn diese Ausstellung besticht durch die Leuchtkraft der Bilder. Allein wenn Sie sich den Malereien auf Papier zuwenden, werden Sie in einen Farbenkosmos eintauchen. Dann wieder sollten Sie aufspüren, wie das Weiß eines stelenartigen Hemdes plastisch hervortritt oder wie in einem anderen Bild drei unterschiedliche Schwarztöne miteinander konkurrieren. Dabei werden Sie möglicherweise feststellen, wie die Kompositionen aus vielen Schichten aufgebaut sind. Den deutlichsten Hinweis darauf geben die Linien, die die Farbfelder untereinander abtrennen. Sie kommen aus der Tiefe. Denn sie sind nicht aufgetragen, sondern als Dokumente der Untermalung stehen geblieben.

In den Bildern stoßen Sie nicht nur auf ständig wechselnde Farbklänge, sondern auch auf die gegensätzlichsten Malweisen. Albert Cüppers versteht es, auf seine Weise Antwort zu geben auf die zeitgenössische reine Malerei. Er weiß, dass vieles schon gesagt ist. Aber er sagt es neu, aus der Logik seiner Arbeit, der Serie heraus. Nehmen Sie das Schwarz-Weiße Bildpaar, das Albert Cüppers als einen seiner wichtigsten Beiträge zu der Serie begreift. Es wirkt wie ein Echo auf die abstrakte und konzeptuelle Kunst, die sich auf die konkrete Malerei reduziert hat. Aber Albert Cüppers zitiert diese Malerei nicht nur, sondern er stellt sie auch als eine Möglichkeit vor, die sich wie von selbst aus seiner Arbeit ergibt: Indem er nämlich die Hemdbilder als strenge Reihungen auf den beiden Leinwänden konzentriert und die Farbe zurücknimmt, erreicht er beides – die konsequente Zuspitzung seiner Serie und die Dimension der reinen Malerei.
Rede zur Eröffnung, Januar 2003

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