„Echo der Mythen“

Galerie im Cranach-Haus in Weimar

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

ich freue mich, dass ich zum zweiten Mal innerhalb von sieben Jahren hier, in der Galerie im Cranach-Haus, zu dem Werk des in Brilon lebenden Malers Pit Moog sprechen darf. Diejenigen von Ihnen, die die vorige Ausstellung gesehen haben, werden bemerkt haben, dass Moog seinem Themenkreis und seinem Malstil treu geblieben ist. Sie werden aber auch bei der Betrachtung der seither entstandenen Bilder feststellen, dass Pit Moog weitergegangen ist, neue Ufer für sich erschlossen hat. Schließlich beinhaltet ja auch jeder Griff des Malers nach der Leinwand oder Pappe, auf die er malen will, einen Neuanfang. Jedes Mal beginnt der Künstler am Punkt Null, muss die Frage neu beantwortet werden, was eigentlich ein notwendiges und gutes Bild sei.

Pit Moog hat seiner Ausstellung den Titel „Echo der Mythen“ gegeben. Aus meiner Sicht stellt er den Bezug zu den Mythen in zweierlei Hinsicht her. Um dies verständlich zu machen, möchte ich einen Gedanken aufnehmen, den ich in dem kleinen zur Ausstellung erschienenen Katalogheft angerissen habe.

Der eine Mythen-Bezug liegt auf der Hand: Seit seinen ersten Begegnungen mit den Fels- und Höhlenmalereien ist Pit Moog fasziniert von dieser Bildsprache, die uns in ihrer Klarheit und Leichtigkeit immer wieder anrührt, die wir zu verstehen meinen, aber im Grunde nicht begreifen. Wir können die magischen Zwecke der Bilder erahnen, ihren Sinn aber nicht verbindlich deuten. Ihr letztes Geheimnis behalten sie für immer für sich. Sicher wissen wir nur, dass die Bilder kaum aus dekorativer Absicht angefertigt wurden, sondern dass sie in die Felsen eingeritzt und eingerieben wurden, um Informationen weiter zu geben, um Gottheiten oder Opfer zu beschwören und Feinde abzuwehren. Ein Kultur- und Weltverständnis wird für uns lebendig, das eigentlich längst versunken ist.

Wir fühlen uns deshalb von diesen vorzeitlichen Bildern so stark angesprochen, weil ihre Figuren zeitlos sind, weil sich durch sie ein Dialog quer durch die Jahrtausende ergibt und weil die Kunst unserer Zeit in der Auseinandersetzung mit der archaischen Welt zu ganz ähnlichen Grundformen zurückgefunden hat. Es ist, als seien die Gestalten der Vorgeschichte durch die Kunstgeschichte hindurch gewandert, um nach allen Veredlungs- und Perfektionsprozessen zu jener Einfachheit zurückzukehren, die zu allen Zeiten verständlich war. Der Maler Pitt Moog wendet sich, indem er die Fels- und Höhlenbilder zitiert, den Wurzeln unserer Kunst zu. Damit komme ich zu dem zweiten Mythen-Bereich, zu Moogs fortdauernder Beschäftigung mit dem Mythos der Malerei.

Sie können, meine Damen und Herren, die Bilder ganz direkt nehmen – als Zeichnungen, Mischtechniken und Gemälde, die uns die frühesten überlieferten Bildwelten in Erinnerung rufen, als Botschafter eines aus der Erde geschöpften Lebens, als uralte Graffiti mit einem tiefen existentiellen Sinn. Sie können die Bilder von Pit Moog aber auch als eine Bilanz der Malerei ansehen, wie sich seit ihren magischen Anfängen in der Vorgeschichte bis heute entwickelt hat, wie sie einen langen kurvenreichen Weg beschritten hat, um nach Tausenden von Jahren nahezu dort zu landen, wo das Ganze begonnen hatte. Wenn Sie die Bilder untereinander vergleichen, auf ihre Gegenständlichkeit hin untersuchen, fragen, wo Illusion erzeugt und wo sie vermieden wird, oder wenn sie die malerischen und zeichnerischen Mittel analysieren, dann werden Sie erkennen, wie sehr Moog mit seiner Technik spielt.

Auf der einen Seite sind seine Arbeiten als eine malerische Annäherung an die vorzeitliche Bildwelt zu verstehen, die von den kraftvollen, in Bewegung gesetzten Figuren bestimmt sind und von den warmen und sandigen Tönungen der Höhlen. Auf der anderen Seite aber sind sie eine Antwort auf den Streit, in dem sich die Kunst seit neun Jahrzehnten befindet: Was vermag, was soll das Bild? Soll es Formen abbilden und erzählen? Soll es die Fläche in einen Raum verwandeln? Oder soll es seinen Entstehungsprozess und damit seine Mittel zum Thema machen oder vergessen lassen?

Pit Moog hat seinen unverkennbaren Stil dadurch gefunden, dass er jede dieser Alternativen als eine Möglichkeit für sich zulässt, dass er die Positionen in Anspruch nimmt, um sie gleich wieder aufzugeben, und dass doch alles aus einem Geist und einer Bewegung entsteht. Dabei hat der Maler und Zeichner Moog zwei Ansätze.

Der eine ist erzählerischer und bildnerischer Natur. Aus dem Wunsch, tierische und menschliche Gestalten zu schaffen und sie in ein an die Fläche gebundenes Ordnungsgefüge zu bringen, entsteht ein Bildraum. Die Figuren sind archaisch und kindlich, also ursprünglich. Immer wieder scheinen sie sich der Fixierung zu entziehen; sie sind meist in Bewegung versetzt, laufend, schwebend, fliehend, einfach und doch elegant. Diese Kompositionen berichten von einer Welt, in der es kein Oben und Unten gab, keine Hierarchie und Perspektive. Alles, was wahrgenommen wurde, war gleich wichtig.

Manchmal lässt Moog diese Figuren als schwarze Zeichen auf weißer Fläche stehen – ohne verbindenden Farbraum, offen wie in Zeichnungen. Dann wieder bauen satte Brauntöne vibrierende Hintergründe auf, formieren sich Bilder im Bild, schaffen Tiefe und Plastizität. In solchen Arbeiten zaubert Moog oft unversehens Kompositionen hervor, die der klassischen Tradition zu folgen scheinen, die intakte Bildwelten vorgaukeln und die der Abbildung und der Erinnerung an sie verpflichtet sind.

Aber daneben entstehen Bildgruppen, in denen Pit Moog alles dies wegwischt, in denen er die Schönheit leugnet und die malerische Akkuratesse. Wirr treten die Linien und die Malstrukturen hervor, alles scheint von der chaotischen Auflösung erfasst zu sein. Manche Bilder wirken, als hätte der Künstler wahllos nach Papieren und Leinwänden gegriffen, ohne darauf zu achten, ob sie schon Mal- und Wischspuren trugen oder nicht. Es ist, als wolle der Maler, seine Meisterschaft verheimlichen und sich dem bloßen Trieb hingeben und Gleichgültigkeit an den Tag legen. Verstärkt wird diese Wirkung, wenn Moog in ein Bild Fund- und Versatzstücke einfügt – also mit der Malerei die Collagetechnik verknüpft und wenn diese Stücke nicht illusionistisch eingesetzt sind, sondern als rein formale Steuerungsmittel.

In solchen Bildern stellt Pit Moog die Auseinandersetzung mit der Malkultur in den Mittelpunkt. Indem er sich völlig auf die Malerei einlässt, die sich mit sich selbst beschäftigt, die aufzuspüren versucht, wo im Chaos der Linien und Farben noch Ausdruckskraft und Balance zu finden sind, macht er den Mythos der Malerei zum Thema. Pit Moog ist ein Künstler, der sich seit seinen Anfängen vor rund 40 Jahren immer entlang der Grenzlinie zwischen gegenständlich-abbildender und freier abstrakter Malerei bewegt. Die figürlichen Zeichen sind dabei oft nur die Elemente, die er improvisierend umkreist, um die Möglichkeiten der Malerei auszuprobieren.

Er kann die Freiheit auskosten, weil er über das sichere Gefühl verfügt, wie er das Chaos zügeln muss, um ihm ein sich ruhendes Bild abzugewinnen. Das Faszinierende gerade der jüngsten Bilder, die sich unübersehbar oder nur andeutungsweise mit den vorgeschichtlichen Höhlenbildern auseinander setzen, ist die Tatsache, dass auch dort, wo das Bild sich aufzulösen scheint, es immer noch sehr dicht an seinem Vorbild dran ist. Wenn Moog nämlich seine Leitmotive malerisch umspielt, mit groben Pinsel- oder feinen Wischspuren arbeitet, die Farben sprunghaft wechselt und über die Kompositionen klecksende Linien legt, dann entsteht gelegentlich der Eindruck, er habe genau ein Felsbild mit seinen changierenden Farben, Rissen und Verunreinigungen nachempfunden. Das heißt: Eben dort, wo sich der Maler seine absolute Freiheit genommen hat, gelangt er zu beinahe illusionistischen Ergebnissen.

Ebenso lassen sich Verbindungslinien zur asiatischen Malerei herstellen, in der aus der Konzentration in einem Moment kraftvolle, bewegte und gültige Zeichen und Figuren hingetuscht werden. Moogs Bilder sind voller solcher Bezüge. Der Maler hat sich die Quellen der Tradition zunutze gemacht, um der Flüchtigkeit der Eindrücke und Stimmungen und der Wechselhaftigkeit der Farben und Linien zu dauerhaften Bildern zu verhelfen.
Eröffnungsrede März 2000

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