Erinnerungen an den Zufall

Daniel Spoerri: Karneval der Tiere, Kasseler Kunstverein (24. 1. – 8.3.)

Als neuer Realist hat sich Daniel Spoerri (Jahrgang 1930) Anfang der 60er Jahre durchgesetzt und als neuer Realist hat er mit seinen der Wirklichkeit entnommenen Bildern abgegessener Tische Kunstgeschichte geschrieben. Noch heute gleichen die Real-Stilleben wie „Roberts Tisch“ dem Alltag entliehenen Werken. Es ist, als hätte der Künstler seine Hand nicht im Spiel gehabt – als hätte er nur fixiert, eingefroren und transponiert. Dahinter steckt die Ehrfurcht vor jenem irrationalen Element, das wir Zufall nennen: Zufällig ergab sich das Stilleben und zufällig fiel dieses Realzitat in die Hand des Künstlers.

Auch mehr als 30 Jahre danach steht Spoerri im Banne des Zufalls. Und wenn er das Hohe Lied des Zufalls singt, dann spürt man, wie er sich unsichtbar machen will, wie er sein hintergründiges Versteckspiel treibt, bei dem der Betrachter zum Akteur wird und am Ende nicht mehr genau weiß, wer nun was geleistet hat. Doch auch wenn Spoerri angesichts seiner jüngsten Arbeiten, die er im Kasseler Kunstverein präsentiert, den Zufall als den Vater seiner Kunst feiert, ist nicht zu übersehen, wie wohlüberlegt er Bilder und Objekte zusammengetragen, montiert und collagiert hat.

Der aus Rumänien stammende und heute vornehmlich in der Toskana lebende Künstler stellt Objektassemblagen (Tableaus) vor, die in einer einfallsreichen Weise auf stählernen Staffeleien zu sehen sind. Man fühlt sich in eine Malklasse versetzt, in der die Studenten auf der Basis einer Themenvorgabe sehr unterschiedlich und dann doch wieder gleichartig gearbeitet haben. Die Vorgabe besteht aus Reproduktionen aus einem Werk des französischen Hofmalers Charles Le Brun (1619 – 1690), der in seinen Zeichnungen Ähnlichkeiten zwischen Tier- und Menschenköpfen herzustellen versuchte. Das Verrückte an diesem Projekt war, daß Le Brun die Tierköpfe mit größter Präzision porträtierte, die menschlichen Visagen aber den Tieren karikierend anglich: Adler, Affe, Bär, Eule, Kamel, Papagei und Stier – zu jedem Tier fand Le Brun die passenden Nasen und Mäuler.

Für Spoerri ist dieser Zufallsfund mehr als ein Kuriosum. Er nimmt ihn auch, verschmitzt, wie er ist, als frühes Indiz für die Erkenntnis, daß Menschen und Tiere aus einer Wurzel kommen. Auf die Tafeln mit den Reproduktionen hat er plastische Fundstücke montiert: Tierschädel, präparierte Tiere, Waffen, mit denen die Tiere erlegt werden können, Geweihe, Felle und Nippes. Die Tableaus sind auf diese Weise zu Wandstücken geworden, die wie Trophäensammlungen wirken. Der Betrachter bewegt sich auf einer schwankenden Ebene, die mal zum Naturwissenschaftlichen neigt, dann wieder zum Jägerfundus und zuletzt auf die Ebene der heiteren Satire.

Mag sein, daß der Zufall gewaltig Regie geführt hat, doch so, wie sich die Tableaus präsentieren, erscheinen sie kunstvoll arrangiert und komponiert – und sei es nur, um der Wirklichkeit selbst und unserem Verhältnis zum Tier, zum Jagen und zum Sammeln kleine und bildkräftige Denkmäler zu setzen. Der kurze Text, den Spoerri im Katalog der Sammlung seiner Bilder vorangestellt hat, verrät den tiefsinnigen Philosophen, der etwas über die Natur und den Menschen sowie sein gebrochenes Verhältnis zu vierbeinigen und geflügelten Wesen erzählen will. Spoerris Witz und Fabulierkunst sind hinreißend. Das Künstliche unseres Naturverhältnisses wird verdoppelt. Trotzdem ist nicht zu übersehen, daß das künstliche Element auch die Komposition bestimmt. Die Bilder sind nicht bloß sie selbst, sondern Boten einer Weltschau, die nachdenklich, kritisch und heiter klingt.

Mit der Spoerri-Ausstellung hat der Kasseler Kunstverein seine Räume im Museum Fridericianum (linker Erdgeschoßflügel) wieder in Besitz genommen. Mit der teilweisen Übernahme der Wandeinbauten der documenta sind auch reizvolle Kabinetträume entstanden, in denen Spoerri auch kleinere sowie frühere Arbeiten vorstellen kann. So ist eine Werkschau entstanden, die andeutungsweise in seiner ganzen Dimension sichtbar werden läßt.

Kunstforum 1998

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