Zurück in die Wirklichkeit

Wie keine andere documenta zuvor wird die kommende aus dem Blickwinkel politischer Fragestellungen vorbereitet. Deshalb gehen wir in einer zehnteiligen Serie der Frage nach, inwieweit die documenta schon früher ein Ort politischer Kunst war.

Der Volkszorn entlud sich: Vor dem Fridericianum wurde eine Fuhre Mist abgeladen. Damit war auf den Punkt gebracht, was viele über die von Harald Szeemann organisierte documenta\x0f5 (1972) dachten. Und weil die Ausstellung von der Bildnerei der Geisteskranken bis hin zur blutigen Aktionskunst eines Hermann Nitsch nahezu alles vereinte, was die Zeit an Bildern hervorgebracht hatte, hielten viele die documenta und deren Macher für abseitig und verrückt.
In der Tat vollzog die documenta\x0f5 einen Bruch mit der Tradition. Hatten die Vorgängerausstellungen dem Bild und Objekt gehuldigt, befand sich nun alles in Auflösung. Hier ersetzte ein Künstler wie Vettor Pisani das Bild durch eine Aktion, die sich gegen Gewalt und Folter wandte. Da präsentierte Richard Tuttle an der Wand nur zart gebogene Drähte. Dort verzichtete Joseph Beuys auf die Ausstellung von Objekten, um mit den Besuchern über Demokratie und Wirtschaftswerte zu diskutieren. Und Ben Vautier schien die ganze documenta mit dem Spruchband „Kunst ist überflüssig” im Sinne der Kritiker zu kommentieren.
Szeemanns Ausstellung illustrierte das, was Beuys gefordert hatte – die Erweiterung des Kunstbegriffs. Auf völlig neue Weise kam die Wirklichkeit in den Blick, wobei die Gemälde der Fotorealisten mit ihren überscharfen Porträts und Stadtbildern viele Besucher milde stimmten. Noch mehr: Beuys, Pisani und andere wie Edward Kienholz (mit seiner Inszenierung einer Szene, die die Misshandlung eines Schwarzen in den USA zeigte) brachten die politische Wirklichkeit ins Spiel.
Die ans Ende der Moderne gekommene Kunst hatte Szeemann und seine Mitstreiter dazu gebracht, erstmals die documenta als eine thematische Ausstellung zu planen. Wohl sollte die Kunst ihre Freiheit und Selbstbestimmtheit (Autonomie) behalten. Gleichzeitig sollte die documenta, wie es in einem Konzept steht, dem „Anspruch der Gesellschaft gegenüber der Kunst” gerecht werden, „bestimmte Funktionen zu übernehmen, das heißt zur Erkenntnis von Lebensbedingungen und deren Veränderung … beizutragen”. Damit stieß die documenta\x0f5 in eine neue Dimension vor.
Ursprünglich hätte die gesamte Ausstellung zu einer riesigen Besucherschule werden sollen. Schritt für Schritt hatte man an Hand von Bildern aus Kunst, Werbung und Propaganda das Verhältnis von Bild und Abbild untersuchern wollen. Daraus wurde nichts. Nun aber wurde die aktuelle Kunst mit den anderen Bildwelten konfrontiert. Durch die Gegenüberstellung mit Kitsch, Design und Werbung wurde die Kunst in der Wirklichkeit verankert und als ein Teil der gesellschaftlichen Realität vorgeführt.
Nächste Woche: Verkürzung auf das Medienthema
HNA 22. 2. 2007

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