Unter der Direktion von Harald Szeemann tritt die 49. Biennale von Venedig kraftvoll und selbstbewusst auf und fordert die Kasseler documenta heraus. Im Zentrum steht eine thematische Ausstellung.
VENEDIG Vor 29 Jahren leitete der Schweizer Harald Szeemann die Kasseler documenta. Nun ist er nach 1999 zum zweiten Mal künstlerischer Organisator der Biennale von Venedig. Im Wissen darum,dass die documenta in der Vergangenheit die an Konflikten und inneren Widersprüchen reiche Biennale in den Schatten stellte, ist er angetreten, der Biennale wieder ihre Führungsrolle zu verschaffen. Er hat alte Strukturen zerschlagen, beispielsweise die Übung, den zentralen Pavillon in dem Ausstellungsgelände Giardini weitgehend den italienischen Künstlern zuzugestehen, und er hat das Ausstellungsgelände über die historische Corderie (frühere Seilerei) bis zum ehemaligen Militärhafen Arsenale ausgeweitet. Vor allem aber hat er die Aufteilung der Zentralausstellung in etablierte und junge Kunst beendet. 1980 war unter seiner Leitung unter dem Titel Aperto (Offen) ein Forum für die junge Kunst eröffnet worden. Jetzt, da er selbst die Biennale-Leitung innehat, glaubt er sich souverän genug, um auf einen solchen ergänzenden Blick eines anderen Kurators verzichten zu können. Szeemanns Projekte Liest man Szeemanns Einleitung in dem zweibändigen Katalog (100000 Lire, ca. 100 Mark), dann könnte man meinen, ihm ginge es gar nicht um die Biennale. Vielmehr benutze er die venezianische Ausstellung, um die Reihe seiner eigenen Projekte seit 1968 zu einem logischen Ende und Höhepunkt zu führen. Also legt er in seinem Text dar, wie er notwendigerweise von Aperto im Jahre 1980 über dApertutto im Jahre 1999 zum Konzept der heute beginnenden Biennale unter dem Motto Plateau der Menschheit gekommen sei. Damit demonstriert er aber auch, wie sehr er sich selbst ins Zentrum stellt. Offenbar wird das ebenfalls im Entrée zur Zentralausstellung, wo Pierre Bismuth seinen künstlerischen Beitrag darauf beschränkt hat, auf grüner Wand in weißer Schrift Stichworte zu dem Plateau Szeemanns zu geben, während der Macher selbst in einer Rauminszenierung ein Bild der Menschheit im Spiegel der Skulpturen geschaffen hat – von indischen und chinesischen religiösen Statuen über afrikanische Plastiken bis zu Werken von Rodin und naiven europäischen Künstlern. Szeemann erklärt mit Nachdruck, die Zentralausstellung sei nicht thematisch angelegt. Das ist sie auch insgesamt nicht. Sie zerfällt aber in zwei Teile (nicht im räumlichen Sinn): In dem einen, größeren Bereich finden sich die Arbeiten, die sehr direkt die Frage nach dem Menschenbild beantworten und damit sehr wohl eine thematische Ausstellung ergeben. In dem andern Teil präsentiert Szeemann die Künstler, welche die für ihn zentralen ästhetischen Positionen repräsentieren: Joseph Beuys, Richard Serra, Richard Tuttle, Gerhard Richter und Mimmo Rotella, um nur einige zu nennen. Während die drei großen Beuys-Arbeiten (darunter die Basaltblöcke Das Ende des 20. Jahrhunderts) im Arsenale etwas deplatziert erscheinen, gelingt Serra mit seinen zwei monumentalen, begehbaren Stahlspiralen ein atemberaubender Auftritt. Der thematische Ausstellungsbereich ist gewaltig, beeindruckend und bedrückend. In diesem Teil, auf den an anderer Stelle noch näher einzugehen ist, dominieren Fotografie und Video. Die Aufarbeitung der schwierigen Geschichte im Verhältnis der Kulturen spielt ebenso eine Rolle wie die Visionen von künstlichen, der Natur entfremdeten Wesen. Die Malerei ist nur ansatzweise vertreten. Hingegen kommt die figürliche Plastik vielfältig zu Ehren. Einen spektakulären Akzent setzt gleich zum Beginn in der Corderie der Australier Ron Mueck mit seiner hyperrealistischen, hallenhohen Figur eines hockenden Jungen. Die Eigenart der venezianischen Biennale besteht darin, dass ihr historisches Zentrum die Nationenbeiträge (in diesem Jahr 64) in den Pavillons der Giardini und im Stadtgebiet bilden. Szeemann konnte zwar auf diesem Feld die italienische Vormachtstellung beseitigen, er konnte aber nicht verhindern, dass hier weiterhin das Herz der Biennale schlägt, auch wenn einige Nationen (USA: Robert Gober, Dänemark: Hennig Christiansen und Ursula Reuter) enttäuschen. Einige Beiträge wie die Video- und Skulpturen-Arbeit von Uri Katzenstein (Israel), die sehr eigenwillige Malerei von Luc Tuymans oder die Foto- und Video-Installation von Liza May Post (Niederlande) ergänzen hervorragend den thematischen Teil der Zentralausstellung. Allerdings wird vieles von dem, was dort zu sehen ist, von Urs Lüthis Arbeit im Schweizer Pavillon überstrahlt, weil hier zu der vermittelten Wahrheit noch die Heiterkeit der Ironie und die ästhetische Perfektion hinzukommen. Zum wiederholten Male ist im deutschen Pavillon ein Künstler zu Gast, der sich mit dem in der Zeit des Nationalsozialismus gebauten Gebäude auseinandersetzt. Gregor Schneider hat dafür keine neue Arbeit entwickelt, sondern fortgesetzt, was er bereits seit Jahren in Rheydt macht: Er baut im Innern eines ganz normalen, kleinbürgerlichen Hauses. Aus vorhandenen Strukturen schafft er neue, die Enge und Miefigkeit spitzt er zu und steigert sie dort ins Absurde, wo man einen Schlaf- und Waschraum nur kriechend erreichen kann. Der Eingang stimmt Die konsequente Entfaltung der Idee fasziniert, doch enttäuscht die Umsetzung dieses Hauses in den deutschen Pavillon. An die Radikalität und Klarheit, die Hans Haacke und Gerhard Merz in dem Pavillon schufen, kann Schneider nicht heranreichen. Am besten ist der Eingang, an dem in den heroischen Bau eine gewöhnliche Haustür eingesetzt wurde. Dieses Bild stimmt, den Rest kann man sich denken.
HNA 9. 6. 2001