Louise Bourgeois, große alte Dame

Die Bildhauerin zum zweiten Mal in Kassel

KASSEL. Immer wieder haben documenta-Leiter auch dann, wenn sie auf Neuentdeckungen aus waren, auf ältere Künstler zurückgegriffen, die aus dem Bewusstsein gefallen waren. Der amerikanische Maler Leon Golub (Jahrgang 1922) zählt dazu. Er war bereits vor 38 Jahren zur documentaIII nach Kassel eingeladen worden, und zeigte zum zweiten Mal, 1987 zur documenta8, seine Arbeiten im Fridericianum. Das waren Bilder im Stil einer Wandmalerei, die sich mit der Verfolgung der Schwarzen in Südafrika auseinander setzten. Seine gesellschaftskritische Malerei passt, so scheint es, genau in den Rahmen der Documenta 11, die sich auch mit der Spiegelung der postkolonialen Welt beschäftigen will. Okwui Enwezor und sein Team planen eine die Generationen übergreifende Documenta 11. Die Mehrzahl der Künstlerinnen und Künstler ist zwischen 50 und 40 Jahre alt. Die Einladung einiger sehr viel älterer Künstler wirkt überraschend. Ihren Stellenwert wird man erst einschätzen können, wenn man die gezeigten Arbeiten und die möglichen Bezüge zu anderen Künstlern sieht. Das gilt für On Kawara (Jahrgang 1933) und seine Datumsbilder bzw. Jahreszahlen-Bücher, für Bernd und Hilla Becher (Jahrgang 1931 und 1934) mit ihrer strengen Sachfotografie und für für den Niederländer Constant (Jahrgang 1920), der sich zur documenta II und III als Maler und Grafiker vorstellte und von dem man nun grafisch wirkende Installationen sieht. Die älteste Teilnehmerin der Documenta 11 ist die in Paris geborene und seit 1938 in New York lebende Bildhauerin Louise Bourgeois (Jahrgang 1911). Sie war mit den Altmeister Le Corbusier, Miró und Tanguy befreundet und entwickelte ein plastisches Werk, das an die Sprache der klassischen Moderne anknüpft. Ihre Skulpturen, um die sie manchmal Installationen entwickelt, entstehen aber nicht nur aus einem reinen Interesse an der Form. Louise Bourgeois verarbeitet in ihnen Ängste und Visionen, die sich um Weiblichkeit, Sexualität und Gewalt drehen. Ihre Arbeiten sprechen formal eben so an, wie sie inhaltlich berühren. Unvergesslich ist die große Rauminstallation, die Louise Bourgeois 1992 zur documenta9 im Fridericianum schuf. Doch im Gegensatz zu anderen Künstlern ihrer Generation wurde sie nicht nicht wieder entdeckt, sondern in Europa in den letzten 15 Jahren überhaupt erst zur Kenntnis genommen. Rund 40 Jahre lang war ihr Werk fast ausschließlich in den USA gezeigt worden. Kein Wunder, dass sie, nachdem man ihre Kraft und ihre die Zeiten überbrückende Sprache erst richtig wahrgenommen hatte, in den vergangenen fünf Jahren zu allen bedeutenden Ausstellungen in Europa eingeladen wurde. Klassische Skulptur: Eine Arbeit von Louise Bourgeois.
HNA 8. 5. 2002

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