Der Kölner Video- und Performance-Künstlerin Ulrike Rosenbach (Jahrgang 1943) ist eine Werkschau im Alten Rathaus in Göttingen ermöglicht worden.
GÖTTINGEN Vieles von dem, was wir tun, dient einzig und allein der Selbstvergewisserung: Wer sind wir? Und: Nehmen die anderen uns so wahr, wie wir gesehen werden wollen? Zu dieser fortdauernden Identitätssuche gehören auch die Bemühungen, das Bild, das wir von uns haben, in die Kette der überlieferten Bilder einzuordnen und, wenn möglich, mit den Porträts historischer Figuren zur Deckung zu bringen.
Ulrike Rosenbach hat mit unglaublicher Konsequenz Fragestellungen dieser Art aufgegriffen und dabei vor allem die Rolle der Frau untersucht. In den frühen 70er Jahren, als die Frauen im Kunstbetrieb noch um die bloße Beachtung ihres Werkes kämpfen mußten, bezog Ulrike Rosenbach eine feministische Position. Unvergessen ist ihr Beitrag zur documenta 1977, für die sie im Fridericianum eine frühe Video-Installation geschaffen hatte: Mit der übermächtigen Foto-Reproduktion des Kasseler Herkules (als das Urbild des Mannes) waren Video-Monitore kombiniert, aus denen unter anderem immer wieder flüsternd-beschwörend „Frau“ zu hören war.
Es ist das Spannungsfeld der Mythen und Klischees, in dem Ulrike Rosenbach das Bild der Frau untersucht. Dabei haben ihr die Mittel der Performance und der fotografischen beziehungsweise filmischen Überblendung die Möglichkeit in die Hand gegeben, alles im Fluß darzustellen und zu verdeutlichen, wie flüchtig die Festlegungen sind. Madonna, Venus, Hochspringerin, Terroristin oder Trümmerfrau: Wo kommen die Frau, die danach fragt, und der Mythos zur Deckung?
Die in Zusammenarbeit mit der Galeristen Ursula Schönwald für das Göttinger Alte Rathaus organisierte Werkschau nennt sich „Ulrike Rosenbach retrospektiv“. Der damit nahegelegte Begriff „Retrospektive“ ist etwas zu hoch gegriffen, weil die Ausstellung, obwohl sie bis in die Mitte der 70er Jahre zurückreicht, dafür zu ausschnitthaft ist. Gleichwohl gewinnen die Besucher einen lebendigen Eindruck von dem Schaffen Rosenbachs, von der Flüchtigkeit der Bilder und den Versuchen, sie festzuhalten.
Zu sehen sind mehrere Fotosequenzen, die häufig aus Videoarbeiten hervorgegangen sind. Jüngster Ausstellungsbeitrag ist eine dreiteilige Fotoserie, die drei Phasen eines mißglückten Sprungs der Hochspringerin Ulrike Meyfarth zeigt. Die Fotos hat Ulrike Rosenbach digital so bearbeitet, daß der Hintergrund zur abstrakten Farbkomposition verschwimmt und der Zeitablauf zum Bildthema wird.
Die zentralen Arbeiten bilden die Video-Installationen aus den verschiedenen Werkphasen. In den Mittelpunkt rückt die mehrteilige Arbeit „Illusion der Wirklichkeit“, die eng mit dem Projekt „Das Bild der Frau in der Nachkriegszeit“ verknüpft ist: Vor den Schemen einer Ruinenlandschaft überlagern sich in schnellem Wechsel Bilder von Trümmer- und Arbeiterfrauen, von Gesellschaftsdamen der Nachkriegsära und dem Abziehbild einer Diva. Während die anderen Videoprojekte ihre Faszination daraus beziehen, daß die Verschiebung der Bilder vieldeutig offen bleibt, gewinnt die auf die Nachkriegszeit bezogene Arbeit einen Zug ins Didaktische.
HNA 23. 6. 1998