Er gehört zu den bekanntesten und wichtigsten deutschen Künstlern der Gegenwart: Der Maler und Bildhauer Georg Baselitz, dessen Werk immer noch provoziert, wird heute 60 Jahre alt.
Vor 30 Jahren entschied sich Georg Baselitz, sich ganz der Auseinandersetzung mit der Farbe auf der Leinwand zu widmen. Die figürliche Darstellung wollte er nicht aufgeben, aber als zweitrangig erscheinen lassen; sie sollte nicht länger als Trägerin einer Botschaft verstanden werden. Um dies sich und anderen zu verdeutlichen, stellte er fortan seine Motive kopfstehend dar.
Hatte Baselitz in den 60er Jahren mit seinen antiheldischen Bildern Widerspruch provoziert, erregten nun seine kopfstehenden Gemälde Aufsehen. Sie wurden, ob Baselitz es wollte oder nicht, zu seinem Markenzeichen. Das Motiv für die Umkehr wurde vom breiteren Publikum nie verstanden.
Nahezu zwei Jahrzehnte lang war der als Georg Kern in Deutschbaselitz (Oberlausitz) geborene Künstler ein Außenseiter. Harald Szeemann hatte seine Bilder zwar 1972 in der documenta vorgestellt, doch noch 1980, als Baselitz und Kiefer die Bundesrepublik auf der Biennale in Venedig vertraten, gab es Kritik und viele Widerstände. Bis in die 80er Jahre war die Neue Galerie in Kassel das einzige deutsche Museum, das das Werk von Baselitz mit Hilfe von Leihgaben gut dokumentieren konnte. Mittlerweile sind die Leihgaben aus Kassel abgezogen. Dafür ist Baselitz nun in allen anderen großen Sammlungen präsent. Mit dem Aufblühen der wilden Malerei um 1980 konnten sich auch die geistigen Väter der neuen Künstlergeneration – Baselitz, Hödicke, Immendorff und Penck – durchsetzen. Heute ist Baselitz ein Aushängeschild deutscher Malerei. Die Nationalgalerie Berlin und das Guggenheim Museum in New York widmeten ihm große Übersichtsschauen. Einige Zeit lang malte Baselitz fast realistisch. Doch je mehr er sich in die Malerei selbst versenkte, desto grober und roher wurden die Gemälde. Er vereinfachte die Formen und verließ zuletzt die figürliche Ebene, um abstrakt und richtig wild zu werden. Diese Roheit spiegeln auch seine Holzskulpturen, die er seit 1980 – meist mit der Kettensäge – herausarbeitet.
Sein Domizil und überdimensionales Atelier hat Baselitz in Schloß Derneburg (nahe Hildesheim). Auch dort sorgte er für Furore, als er nämlich 1992 der Kirche der Nachbargemeinde Luttrum sein Bild mit dem kopfstehenden Motiv „Tanz ums Kreuz“ schenkte: 100 Luttrumer Bürger ließen sich in andere Kirchen ummelden, weil sie das Bild nicht ertragen können.
HNA 23. 1. 1998