Zwei Temperamente

Maarten Thiel ist ein stiller Erzähler: Er umgarnt einen mit Geschichten, ohne laut zu werden, er beschreibt die Wirklichkeit, ohne aufdringlich zu sein und er analysiert die Natur, ohne unanschaulich zu werden.

Wer einmal Maarten Thiel beim Zeichnen zugeschaut hat, vermag nachzuvollziehen, weshalb seine Bilder so gefiltert, so gedämpft und doch klar formuliert erscheinen: Er saugt die ihn interessierenden Erscheinungsformen seiner Umwelt förmlich auf und läßt sie in seine Gedankenbilder und Phantasien eindringen. Erst dann gewinnen die Pflanzen, Insekten, Vögel, Flugapparate und Fische Kraft genug, um Bildmotive zu werden.

Wenn die sehr simpel klingende Definition zutrifft, daß ein Bild ein Kunstwerk sei, das man nicht nur über Jahre hinweg ertragen, sondern auf dem man immer wieder neues entdecken könne, dann legt Maarten Thiel seit einem Jahrzehnt mit seinen Zeichnungen, Grafiken und Gemälden beständig Kunstwerke vor. Diese Bilder sind nie glatt und behalten sich stets eine Offenheit vor.
Immer sind es mehrere, höchst unterschiedliche Formelemente, die sich zu einem Bild verdichten: Der plastische organische Figur wirken auf der einen Seite landschaftliche Strukturen sowie atmosphärische Strömungen und auf der anderen abstrakte geometrische und numerische Systeme entgegen. Dadurch entstehen immer neue Kraftfelder und Spannungsbogen.

Die Offenheit von der vorhin die Rede war, gilt nicht nur für das einzelne Bild, sondern auch für Thiels gesamtes Schaffen. In dem Moment, in dem sich der Grafiker Thiel erstmals der Öffentlichkeit stellte
(vor über 13 Jahren), war er ein Meister der freien Zeichenkunst. Doch damit war der Künstler Thiel keineswegs fertig: Immer wieder sucht er nach neuen Ansätzen, erprobt andere Techniken und Materialien oder reagiert auf aktuelle Strömungen. So abrupt diese Neu-Ansätze im Augenblick auf die Umgebung Thiels wirken, so verschwindend gering sind sie auf Dauer. Dies gilt insbesondere für die Radierungen von Maarten Thiel, die durch die Jahre hindurch kontinuierlich im Zentrum seines künstlerischen Schaffens stehen.

Diese Kontinuität läßt sich leicht an Vordergründigem festmachen: etwa die durch gängige polare Beziehung von organisch wuchernden und streng ordnenden Formen oder die stetige Rückkehr zu den beiden Elementarfarbtönungen braun (Erde), und blau (Wasser, Luft).

Noch wichtiger aber scheint mir, daß die Radierung zwei künstlerische Temperamente – die des Zeichners und die des Malers – zusammenführt. Die Radierung ist bei Maarten Thiel immer farbig und nur selten rein grafisch. Die Farbe bindet die an sich dominierenden zeichnerischen Elemente in die Fläche ein, weicht die Härte der Konturen auf oder hebt (wenn mehrere Farben eingesetzt werden) Einzelformen heraus. Die sehr sorgfältig gewählten Tonstufen geben den Radierungen eine Plastizität, die sie in der Nachbarschaft von Aquarellen und Pastellen rückt.

Die intensive Auseinandersetzung mit der Malerei in den letzten drei, vier Jahren hat Maarten Thiel deutlich weiter gebracht. Unversehens legt er in jüngster Zeit Radierungen vor, in denen die Farbe aus der funktionellen Begrenzung heraustritt und sich die malerischen Elemente frei und prägend über die zeichnerischen erheben (wie in dem Blatt „BeansII“).

Eine neue spannende Entwicklung hat begonnen.

März 1979

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