Ausstellungsmacher als Künstler

Harald Szeemann wird heute 70 Jahre alt documenta5 als Meilenstein

KASSEL. Dem Schweizer Harald Szeemann haben wir einige der wichtigsten Ausstellungen der vergangenen 30 Jahre zu verdanken. Er hat gezeigt, dass der Ausstellungsmacher ein Künstler sein kann einer der mit Kreativität neue Strömungen erkennt und sichtbar macht und der Zusammenhänge aufspürt, die vorher nicht bewusst waren. Aber im Gegensatz zu vielen anderen Ausstellungsmachern, die sich zu Künstlern aufschwingen, hat er die von ihm ausgewählten Künstler und Werke nie instrumentalisiert. Er hat sie stets mit großem Respekt präsentiert. Der studierte Kunsthistoriker, der heute 70 Jahre alt wird, hat wesentlich dazu beigetragen, den Beruf des Ausstellungsmachers, heute vielfach als Kurator bezeichnet, zu etablieren. Seit er 1972 die documenta5 in Kassel als Generalsekretär geleitet hat, war er wie ein Gastregisseur weltweit aktiv und organisierte für unterschiedliche Institutionen Ausstellungen. Seinen internationalen Ruhm begründete die documenta5, bei der er unter dem Stichwort Individuelle Mythologien die neue Kunst der 60er-Jahre vorstellte, mit der sich Namen wie Mario Merz, Richard Long oder Joseph Beuys verbinden und die für mindestens drei Jahrzehnte prägend bleiben sollte. Die documenta5 ist eine Legende. die bis heute fortwirkt. Okwui Enwezor bezog sich auf sie, als er seine Documenta11 plante, obwohl er die Ausstellung von Szeemann selbst nicht gesehen hatte. Außerdem organisierte 2001 das documenta Archiv eine Ausstellung, die die documenta5 in ihrer Machart und Wirkungsweise befragte. Zur Geschichte dieser Ausstellung gehört aber auch, dass sie anfangs höchst umstritten war und dass es fast zum Skandal kam, weil Szeemann für das entstandene Defizit persönlich haftbar gemacht werden sollte. Später söhnte sich die Stadt Kassel mit dem Ausstellungsmacher wieder aus. Den Boden für seinen Durchbruch im Jahre 1972 hatte er drei Jahre zuvor bereitet, als er die Ausstellung When Attitudes Become Form organisierte, in der die neue Künstlergeneration erstmals versammelt war. Szeemanns Stärke war, jenseits von Stilen und Schulen den Blick auf Kunstströmungen zu lenken, die bis dahin als Hauptwege nicht erkannt waren. Zu seinen markanten Ausstellungen gehören: Happening und Fluxus (1970), Junggesellen-Maschinen (1975), Der Hang zum Gesamtkunstwerk (1983) und derzeit im österreichischen Klosterneuburg die Balkan-Kunstschau Blut & Honig (bis 28. September). Szeemann wurde außerdem immer wieder gerufen, wenn irgendwo ein Neuanfang gemacht werden sollte. 1980 verhalf er der Biennale in Venedig zur Blutauffrischung, indem er eine Abteilung für junge Kunst (Aperto) schuf. Mit Einleuchten konnte er in Hamburg die Deichtorhallen eröffnen, und auch der Biennale von Lyon durfte er 1997 zu einem gelungenen Auftritt verhelfen. Als er 1999 und 2001 in Venedig die Biennale leitete, konnte er zwar neue Räume und Flächen erobern, auch präsentierte er viele neue Talente. Doch sein Versuch, auch thematisch und politisch wegweisend zu wirken, wollte nicht überzeugend glücken.
HNA 11. 6. 2003

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