Die Kunsthalle Schirn würdigt das Werk des Aktionskünstlers James Lee Byars
FRANKFURT . James Lee Byars (1932-1997) war eine Ausnahmeerscheinung in der Kunst. Er war ein Philosoph und Zeremonienmeister, ein Verehrer der Schönheit und Perfektion und ein Meister der großen Geste. Wenn er sich im weißen Anzug zur documenta als lebende Skulptur in das Giebelfeld des Museums Fridericianum stellte oder wenn er sich im glänzend goldenen Gewand zur Biennale an der Einfahrt zum Canal Grande in Venedig postierte, dann genügte er sich und der Welt als bloßes Zeichen. Er signalisierte: Hier ist die Kunst, hier ist die Schönheit. Auch dann, wenn Byars für eine Ausstellung Skulpturen oder Installationen gestaltete, entschied er sich für die schlichte, klare und edle Form eine goldene Säule in der Mitte des Saales, ein strahlend weißer, ein glühend roter oder ein tiefschwarzer Raum. Byars hatte immer die Verknüpfung des Anfangs mit dem Ende im Sinn. So ließ sich die plastische Form zur perfekten Kugel vollenden, so waren aber auch Geburt und Tod in einem zu denken. Dabei war der Philosoph auch Clown und Humorist. Als er 1983 in Kassel auftauchte, um dem Oberbürgermeister zu empfehlen, den Künstler Joseph Beuys zum documenta-Leiter zu machen, war die Aktion genauso ernsthaft wie parodistisch gemeint. Byars hatte während des ganzen Auftritts seinen Kopf unter einem schwarzen Zylinder mit einem schwarzen Tuch verhüllt. Das konnte bedeuten: Selbst Blinde sehen, dass allein Beuys das vermag. Das konnte aber genau so gut heißen: So blind sind diejenigen, die normalerweise den documenta-Leiter bestimmen. Die Frankfurter Kunsthalle Schirn würdigt jetzt das Werk des Künstlers, der sich als stetig Reisender empfand, in einer repräsentativen Ausstellung. Anhand von frühen Zeichnungen und Objekten sowie späteren Installationen wird die Entwicklung des Amerikaners dokumentiert. Zentrales Werk ist die Bodenarbeit Der rote Engel von Marseille, die aus tausend roten Glaskugeln besteht, die ein Ornament aus Spiralkreisen bilden. In gewisser Weise ist die Ausstellung umfassend. Die Idee, auch die Böden weiß zu streichen, kommt dem Selbstverständnis von Byars entgegen. Und die von dem Künstler entworfene Grabesgruft, die mit Blattgold verkleidet ist, setzt einen guten Schlusspunkt. Trotzdem will es der Ausstellung nicht gelingen, die Feierlichkeit, Großzügigkeit und Leichtigkeit herzustellen, die Byars Arbeiten immer auszeichneten. Vor allem aber kommt das Flüchtige, die auf den Moment zugespitzte Pointe, zu kurz. Man sieht archivierte Reliquien, aber der Aktionskünstler, der die Ausstellungen als Bühnen benutzte, taucht nicht auf. Die Ausstellung Briefe an Joseph Beuys, die vor vier Jahren in der Kasseler Kunsthalle zu sehen war, wirkte da lebendiger.
HNA 7. 6. 2004