Der amerikanische Künstler Bruce Nauman wird heute 65 Jahre alt
Wer die documenta IX im Jahre 1992 erlebt hat, dem klingen noch heute die bis an die Schmerzgrenze reichenden Klagelaute im Ohr, die in der Eingangshalle des Museums Fridericianum zu hören waren und die Besucher bis in andere Räume verfolgten. Auf kleinen Bildschirmen und in Großprojektionen war ein sich drehender kahler Männerkopf zu sehen.
Der schrie die immer gleichen Wortfolgen raus, teils befehlend, teils klagend: Help me, hurt me, Sociology, feed me, eat me, Anthropology (Hilf mir, verletze mich, Soziologie, füttere mich, iss mich, Anthropologie). Das klang bedrohlich und spitzte sich in der Wirkung noch zu, da einige der Projektionen auf dem Kopf standen.
Die von dem amerikanischen Künstler Bruce Nauman entwickelte Arbeit hatte documenta-Leiter Jan Hoet zielsicher ins Zentrum seiner Ausstellung gerückt, weil Nauman für ihn der Künstler war, der in seinen Arbeiten die Grenzen der Kunst und des Erträglichen erprobte. Kaum ein zweiter Künstler hat in den vergangenen 30 Jahren so systematisch die Möglichkeiten der Kunst ausgelotet und so radikal nach dem Wesen des Menschen gefragt, nach seiner Lust und Gewalt und nach seinem Leiden. Bruce Nauman, der heute 65 Jahre alt wird, gilt als einer der einflussreichsten und wichtigsten Künstler der Gegenwart.
Ursprünglich hatte er Mathematik und Physik studiert und nebenbei Kunst. Die Kunst wurde ihm immer wichtiger. Allerdings verabschiedete er sich schnell von der Malerei und erprobte, angeregt durch die Werbung, Arbeiten mit Neonröhren und Fiberglas. Schon 1968 war er in der documenta vertreten, in der seine Skulpturen ähnlich wie die damals gezeigte Raumplastik von Joseph Beuys die neuen Formen der Kunst andeutete, die erst in der documenta 5 (1972) ihren Durchbruch feierten.
Nauman schuf als Ideenskizzen hervorragende Zeichnungen, baute monumentale Skulpturen, die die Bedrohungen der Kreatur körperlich erfahrbar machten, und beschäftigte sich in späteren Jahren mit Videoarbeiten. Die Videos hatte Nauman anfangs dazu genutzt, seine Aktionen (Performances) zu dokumentieren. Doch allmählich verselbstständigten sich die Arbeiten. Und Video-Installationen wie die, die 1992 in Kassel zu sehen war, eröffneten eine neue Dimension: Die Besucher waren nicht mehr nur Zuschauer, sondern Teil der Inszenierung: Die Trennung zwischen Subjekt und Objekt war aufgehoben.
HNA 6. 12. 2006