Das Unmögliche wird möglich

Eine außergewöhnliche Ausstellung im Museum Fridericianum: Gezeigt werden 17 Gobelins, die nach Entwürfen von Bjørn Nørgaard für die dänische Königin Margrethe II. angefertigt wurden.

KASSEL : Ist es heute möglich (erlaubt), ein Bild der Welt zu entwerfen und die gesamte politische, kulturelle und technische Entwicklung aus 1000 Jahren in eine fortlaufende Bildergeschichte zu pressen und dabei noch den Stand der Kunst zu beachten? Eigentlich nicht, vor allem dann nicht, wenn auch noch die geradezu altmodisch erscheinende Form des Bildteppichs (Gobelin) gewählt wird. Auch der dänische Künstler Bjørn Nørgaard (Jahrgang 1947), der vornehmlich als Bildhauer und Aktionskünstler hervorgetreten ist, weiß, dass das unmöglich ist. Aber Nørgaard ist ein Künstler, den gerade das Unmögliche reizt. Er, dessen Arbeiten Ende der 60er Jahre eine starke Beziehung zum Werk von Joseph Beuys hatten, ist ein postmoderner Künstler schlechthin. Angetrieben von einem starken erzählerischen Drang, der ihn immer wieder zur menschlichen Figur zurück führt, hat er zahlreiche Skulpturen geschaffen, die zwischen Abstraktion und Stilisierung auf der einen Seite und surrealistischer Ironisierung auf der anderen pendeln. Es ist, als würde er die Kunstgeschichte aufmischen und durcheinander wirbeln, um dann die unterschiedlichsten Objekte hervor zu zaubern. In dieser Beziehung ist er der Generation italienischer Künstler nicht unähnlich, die Ende der 70er Jahre aufbrach, um die Malerei neu zu begründen. Also im Bewußtsein, Unzeitgemäßes und Unmögliches anzugehen, übernahm Nørgaard 1989 den Auftrag, für den Rittersaal auf Schloss Christiansborg in Kopenhagen 17 Gobelins zur tausendjährigen Geschichte Dänemarks zu gestalten. Die Gobelins waren als Geschenk zum 50. Geburtstag der dänischen Königin Margrethe II. gedacht – als ein Geschenk, das viele Spender ermöglichten und das, da der Rittersaal auch besichtigt werden kann, wiederum ein Präsent an das dänische Volk ist. Fast zehn Jahre lang haben rund 30 Weber der Pariser Gobelin-Manufaktur an den 270 Quadratmetern der Gobelins gearbeitet. Im September wurden sie fertig, und zum 60. Geburtstag der Königin im nächsten Frühjahr sollen sie offiziell in Kopenhagen übergeben werden. Dass die Gobelins auf dem Transport von Paris nach Kopenhagen in Kassel Station machen können, ist den guten Beziehungen von Kunsthallen-Direktor Rene‘ Block zu verdanken, der Nørgaard und das Gobelin-Projekt seit langem kennt. Die Gobelin-Ausstellung ist eine gute Ergänzung zu der kulturhistorischen Schau „Geburt der Zeit”, da der Fluss der Zeit hier in ein dichtes Bildprogramm gepresst ist und weil die langwierige Produktion ein Gegenentwurf zu unserer Kommunikationsgesellschaft ist, in der Tempo als höchster Wert gilt. Nørgaards Bildteppiche sind auch ein Gegenentwurf zu Werner Tübkes Bauernkriegspanorama. Während Tübke das Panoramagemälde als Versuch schuf, die Tradition für die Moderne zu retten, konterkariert Nørgaard die überlieferte Kunst mit ihren eigenen Mitteln, wobei er sich vorzugsweise auf die Stilmittel des Comics verlässt. Sein Projekt ist wagemutig, imponierend und auch gelungen. Wer die Gobelins nur als farbenfrohe Bilder betrachtet, versteht sie nicht. Da sich Nørgaard mit großer Energie in die tausendjährige Kulturgeschichte versenkt hat und von den Wikingern über Martin Luther und Karl Marx bis zu Adolf Hitler alle Galionsfiguren aus Politik und Geistesgeschichte hineingearbeitet hat, müssen die Gobelins richtig entschlüsselt und gelesen werden. Der Katalog hilf dabei. Aber Nørgaard hat ganz nebenbei auch die Entwürfe der dekorativen und freien Kunst aus den verschiedenen Epochen eingearbeitet. Je länger man die Gobelins studiert, desto stärker fesseln sie.
18. 12. 1999

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