Im Dienste der Erinnerung

Im Kasseler Kunstverein wurde zum 15. Mal der Bode-Preis (15 000 Mark) vergeben. Preisträgerin ist die Israelin Penny Yassour, deren documenta-Beitrag 1997 tiefen Eindruck gemacht hatte.

KASSEL : Die Frage, wie man künstlerisch mit dem Holocaust umgehen könne, führt meist zu unbefriedigenden Antworten. Deshalb war es gewiß ein Vorteil der israelischen Künstlerin Penny Yassour (Jahrgang 1950), daß sie, wie sie gestern in Kassel bekannte, keinen öffentlichen Auftritt und keine Ausstellung im Sinn hatte, als sie 1992/93 an dem Projekt zu arbeiten begann, das 1997 innerhalb der documenta im Zwehrenturm vorgestellt wurde. Penny Yassour hatte sich, wie die israelische Museumsleiterin Galia Bar Or in ihrer Rede zur Bode-Preis-Verleihung sagte, aus der geographischen Perspektive ihren künstlerischen Arbeiten genähert: Sie untersuchte, inwiefern vorhandene Raumstrukturen Aufschlüsse über soziale und politische Probleme geben könnten. Dabei entstand Yassours Projekt der „geistigen Landkarten”, zu denen auch die documenta-Arbeit von 1997 zu rechnen ist. Zu sehen waren an der Wand hängende Silikon-Lappen, die (in verdrehter Form) das Liniennetz der deutschen Reichsbahn von 1938 in Reliefform dokumentierten. Die Silikon-Lappen wirkten abstoßend und die Karte des großdeutschen Reiches war verfremdet. Penny Yassour nutzte bewußt diese Irritationen, um etwas ins Bewußtsein zu holen, was gern verdrängt wird: Auf dem dichten Liniennetz der Reichsbahn rollten in jenen Jahren die Züge, die systematisch die Juden in die Konzentrations- und Vernichtungslager transportierten. Galia Bar Or schilderte eindrucksvoll, wie Penny Yassour aus inhaltlichem Antrieb zu künstlerischen Arbeiten gelangt sei, die in Beziehung zu konzeptionellen Werken und den Projekten von Joseph Beuys stünden. In ihren Begrüßungsansprachen wiesen Bernhard Balkenhol (Kasseler Kunstverein), Heiner Georgsdorf (Arnold-Bode-Stiftung) und Oberbürgermeister Georg Lewandowski darauf hin, daß der Namenspatron des Preises, der documenta-Begründer Arnold Bode, am 23. Dezember 2000 hundert Jahre alt geworden wäre. Der Geburtstag soll zum Anlaß für eine umfassende Ehrung genommen werden. Dabei ist an zwei Einzelausstellungen von Penny Yassour und dem vorigen Bode-Preisträger Richard Hamilton sowie eine Gruppenausstellung der übrigen 13 Preisträger gedacht. Lewandowski sagte im Hinblick auf das bisher finanziell nicht abgesicherte Projekt zu, er werde sich für eine Nachbesserung im Kulturhaushalt einsetzen.

HNA 22. 11. 1999

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