Natur in der Stadt durch Kunst

1982 begann der Künstler Joseph Beuys (1921-1986) zur documenta 7 mit seiner Aktion „7000 Eichen” in Kassel. Damit verwirklichte er sinnbildhaft seine Vorstellung von einer sozialen Plastik.

Fünf mal hat der Bildhauer und Aktionskünstler Joseph Beuys an der documenta aktiv teilgenommen. Nachdem seine beiden ersten Auftritte in Kassel relativ unspektakulär gewesen waren (obwohl seine Arbeiten den traditionellen Rahmen sprengten), rief er 1972 bei der documenta 5 ein großes Publikums- und Medienecho hervor: Beuys hatte im Fridericianum ein Büro seiner „Organisation für direkte Demokratie durch Volksabstimmung” eingerichtet. In diesem Büro diskutierte er 100 Tage lang mit den Besuchern über Kunst und Politik, über Geldwirtschaft und Kreativität. Er wollte seine eigenen kreativen Kräfte (und die der anderen) dafür nutzen, in das Leben selbst, in die politischen und sozialen Strukturen, hinein zu wirken. Die documenta als das temporäre Zentrum für die aktuelle Kunst nutzte er dabei als Basis und Schutzraum, um seine Ideen von einer radikalen Erweiterung des Kunstbegriffs vorzutragen. Fünf Jahre später erweiterte er den Ansatz: Unter der Honigpumpe als Symbol für den Leben spendenden Kreislauf hatte er ein Diskussionsforum eingerichtet, in dem er seine Idee von einer Freien Internationalen Universität erprobte. Es ging ihm dabei auch um die Frage, wie man diesseits der Utopien die gesellschaftliche Wirklichkeit verändern könne. Eine Antwort fand er zur documenta 7 (1982). Da überraschte er die Ausstellungsleitung, die zum Rückzug ins Museum geblasen hatte, mit dem Plan, das Stadtgebiet von Kassel zu „verwalden” und 7000 Bäume zu pflanzen, wobei jeder wachsende Baum durch eine gewachsene Basaltstele ergänzt werden sollte. Eines der erklärten Ziele von Beuys war, Plätze für das neue Grün auch gerade dort zu erkämpfen, wo es nicht vorgesehen war. Anfangs gab es viel Unverständnis und Widerstand gegen dieses Projekt. Vor allem die zur documenta 7 keilförmig auf dem Friedrichsplatz abgeladenen Basaltstelen, die erst im Vollzug der fünfjährigen Pflanzaktion verschwanden, riefen großen Unwillen hervor. Diesen Unwillen kann man kaum noch verstehen, da heute klaglos geduldet wird, dass der Platz mit provisorischen Bauten zugestellt wird. Dass bei diesem Wildwuchs der erste und der letzte Baum der „7000 Eichen” in Bedrängnis gerieten und gar einige Äste kurzerhand abgesägt wurden, dokumentiert, wie gefährdet auch jetzt noch das Projekt in seiner Gesamtheit ist, obwohl die an vielen Straßen entstandenen Alleen mittlerweile überwiegend Freunde gefunden haben. Der Umgang mit dem Baumprojekt ist zum Prüfstein für die Verwaltung und die Bürger geworden. Das wollte Beuys so. Insofern werden auch künftige Auseinandersetzungen um Standorte und Pflege das Bewusstsein für die „7000 Eichen” wach halten. Daneben gibt es aber auch den positiven Aspekt: Beuys ist es gelungen, aus dem Bereich der Kunst in der Stadt der Natur den Weg zu ebnen und dabei eine neue Form der Skulptur zu realisieren. Jeder Beuys-Baum ist ein Zeichen, der für das ganze Werk steht, das die Stadt verändert hat, aber in seiner Gesamtgestalt nicht fassbar wird. Es ist ein auf lange Dauer angelegtes Kunstwerk, das sich von Jahr zu Jahr verändern wird.

HNA 22. 12. 1999

Schreibe einen Kommentar