Wo die Welt im Desaster versinkt

Die Berliner Andy Warhol-Retrospektive stellt den Künstler der Pop-art als kritischen Visionär vor

BERLIN. Wer in den 70er- und frühen 80er-Jahren bekannt war, auf sich hielt und genügend Geld besaß, ließ sich von dem amerikanischen Pop-Künstler Andy Warhol (1928 – 1987) porträtieren. Der griff zur Kamera, fotografierte den Auftraggeber, setzte das vergrößerte Bild mit Hilfe des Siebdrucks auf eine Leinwand um und verfremdete es durch grelle Farben oder malerische Eingriffe. Auf diese Weise entstand ein Porträt, das die Handschrift eines der prominentesten Künstler der Zeit trug. Noch mehr: Indem Warhol das Bild in seiner bewährten Manier gestaltete, nahm er den Porträtierten in die lange Reihe seiner malerisch verarbeiteten Idole und Mythen auf, die von Elvis über Marilyn bis zu Superman und Mickey Mouse reicht. War also der Pop-Künstler, der die Bild-Klischees des 20. Jahrhunderts kritisch reflektierte, zu einem Prominenten-Maler verkommen? In gewisser Weise schon. Doch der Schein trügt. Das fängt damit an, dass zum künstlerischen Konzept Warhols die Entpersönlichung der Kunst gehörte. Er wollte seinen Motiven nicht seinen Stil aufdrücken, sondern wollte sie in ihrer Ursprünglichkeit in seine Bilder transponieren. Daher rührte seine Vorliebe für den Siebdruck, der ihm die fotomechanische Umsetzung von gefundenen Bildern in seine Malerei erlaubte. Außerdem war er trotz seiner zeitweisen persönlichen Isoliertheit kein Einzelgänger. Andy Warhol, der eigentlich Andrej Warhola hieß, war seit den 60er-Jahren Chef einer Factory, einer Werkstatt, in der er mit anderen an seinen Bildern und Filmen arbeitete. So stand der Künstler bei vielen Werken nur für das Konzept. Auch wenn ein Maler seine persönliche Handschrift verweigert, kann er nicht verhindern, dass er einen eindeutigen Stil ausbildet. Roy Lichtenstein, der bekannt dadurch wurde, dass er Comics in ihrer unverkennbaren Drucktechnik mit den Rasterpunkten in Malerei umsetzte, ist ein prominentes Beispiel dafür. In gleicher Weise kam es dazu, dass Warhols Technik, die Siebdruckmotive in Serie zu wiederholen und dabei die Farben plakativ zu variieren, zu seinem Markenzeichen wurde. Aber Warhol konnte sich auch ganz persönlich und unmittelbar äußern. Frühe Beispiele dafür liefern die Zeichnungen und Collagen, die er in seinen künstlerischen Anfangsjahren anfertigte, in denen er als erfolgreicher Werbegrafiker tätig war. Diese Bilder, die auch erklären helfen, warum Warhol sich später so intensiv mit den Symbolen und Mythen der Konsumwelt auseinander setzte, verraten viel von seiner künstlerischen Kraft, sie offenbaren allerdings auch etwas von der depressiven Stimmung und Verzweiflung, die in Warhols Leben immer wieder durchbrechen. Heiner Bastian, der insbesondere beim Projekt 7000 Eichen ein wichtiger Begleiter von Joseph Beuys war und der mit Warhol Freundschaft schloss, hat für die Neue Nationalgalerie in Berlin eine Gesamtwürdigung von Warhols Werk versucht. Bastian setzt in dieser 239 Arbeiten umfassenden Schau klare Schwerpunkte. Der Prominentenmaler Warhol wird an die Seite gedrängt. Man sieht aus den späteren Jahren nur einige Porträts, bei denen nicht ganz klar ist, inwieweit sie auf Auftrag oder als Idol-Bilder entstanden. Auch wird nur knapp dokumentiert, dass sich Warhol zuletzt (ebenso wie Lichtenstein) intensiv mit Bildern beschäftigte, in denen er andere Kunstwerke reflektierte. Allein die Mona Lisa-Tafeln und das Abendmahl nach da Vinci stehen dafür. Zu kurz kommen auch die chaotisch wirkenden Werke, die Warhol in den Achtzigern in Zusammenarbeit mit Basquiat und Clemente schuf, in denen er die selbst angelegten Fesseln zu sprengen versuchte und die vor einigen Jahren im Kasseler Fridericianum zu sehen waren. Und schließlich hätte man sich ein paar mehr Beispiele aus den Anfangsjahren gewünscht. Dafür stellt Bastian die Werke ins Zentrum, die angesichts der gegenwärtigen politisch-gesellschaftlichen Situation in den USA prophetisch wirken. Warhol erscheint als ein Künstler, der sich immer wieder mit dem Tod beschäftigte und der für sein Land apokalyptische Visionen entwickelte: Als unübersehbares Signal steht am Anfang (1962) die in ein Gemälde verwandelte Titelseite zu einer Flugzeugkatastrophe: 129 Die in Jet. Die Serie setzt sich fort in Bildern von Selbstmördern und Auto-Unglücken, vom elektrischen Stuhl und dem Atompilz. Am Ende dieser thematischen Auseinandersetzung stehen die Bilder von einem Totenkopf, vom Abendmahl sowie Selbstporträts, in denen er vom Tod gezeichnet scheint. Es ist, als hätte Warhol, die von Konsum- und Medien-Mythen geprägten USA in einer Art Endzeitstimmung gesehen. Dieser Aspekt in Warhols Werk ist keineswegs neu. Doch die Massierung der Werke aus diesem thematischen Umkreis verleiht ihnen in der Ausstellung ein überragendes Gewicht. Selbst das vielfache Lächeln der Marilyn Monroe, das gern als ein heiteres Zeugnis für die Spiegelung der Idole genommen wird, erstirbt in diesem Zusammenhang. Denn nun macht man sich klar, dass es der Selbstmord der Monroe war, der Warhol veranlasste, sich mit ihrem zum Abziehbild gewordenen Porträt auseinander zu setzen. Die Berliner Ausstellung ist nicht nur eine Retrospektive. Sie gibt dem Künstler, der selbst zu einem Markenzeichen und Idol geworden ist, viel von der Ernsthaftigkeit und gesellschaftlichen Bedeutung zurück, die ihm angesichts seiner Prominentenporträts und Kunst über Kunst-Bilder oft abgesprochen wurden. Und so wird der als kunsthistorisch überholt angesehene Künstler der Pop-art als ein Kommentator unserer Zeit wieder entdeckt.
HNA 14. 10. 2001

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