Selbstbefragung eines Mediums

Über die Neue Musik fand der Koreaner Nam June Paik (Jahrgang 1932) zur Fluxus-Bewegung. Er ist ein Pionier und Meister der Video-Kunst.

Die Zeit um 1960 war für die Entwicklung der Kunst äußerst fruchtbar. Die Künstler versuchten Grenzüberschreitungen in alle Richtungen. Daß ihnen so viele Neuentdeckungen gelangen, ist auch der Tatsache zu verdanken, daß eben zu dieser Zeit Neue Musik und Avantgarde-Kunst zahlreiche Berührungspunkte hatten und zwischen ihnen ein explosives Kraftfeld entstanden war. Auf diesem Feld wirkten Musiker wie John Cage und Nam June Paik und bildende Künstler wie Wolf Vostell und Joseph Beuys zusammen. Ihnen genügten nicht die traditionellen Ausdrucksweisen; sie wollten vielmehr alle Formen des künstlerischen Ausdrucks in einer spontanen Aktion verbinden, in der alles in Fluß gerät. Das war die Geburt der Fluxus-Bewegung. Paik, der 1956 aus Seoul nach Deutschland gekommen war, gestaltete Konzertaktionen mit. Sehr bald erweiterte er aber sein Vokabular. So begann er ab 1963 mit Fernsehmonitoren zu arbeiten und die laufenden Bilder zu manipulieren oder zu karikieren. Zu seinen ersten Projekten gehörte ein „Participation-TV”: Besucher konnte durch elektronische und akustische Eingriffe Fernsehbilder und -Töne verändern. Angesichts der spektakulären Video-Skulpturen und bunt flimmernden Video-Wände, die Paik in den 80er und 90er Jahren schuf, wird leicht vergessen, daß Paiks Ansatz zur Video-Kunst medienkritisch ist – er läßt das Medium Fernsehen sich selbst befragen. Eine der großartigen Arbeiten, die auf diesem Weg von ihm geschaffen wurden, war der „Video-Buddha” (1974) – eine Buddha-Statue, die ihr eigenes, von einer Videokamera aufgenommenes Bild auf kleinem Bildschirm betrachtet. Die Grenze zwischen Aktion und Video-Skulptur markiert das „TV-Cello” von 1971, das Paik für die Cellistin Charlotte Moorman gestaltet hat, mit der er über viele Jahre zusammenarbeitete. Das „TV-Cello” besteht aus drei unterschiedlich großen Monitoren, die übereinanderstehen und fest verbunden sind. Über die Monitore hinweg sind Saiten gespannt, auf denen die Cellistin spielen konnte, während ihr Bild drei- oder mehrfach in manipulierter Form auf den Bildschirmen zu sehen war. Nam June Paik begnügte sich nicht mit der Aufzeichnung und Wiedergabe dokumentarischer Bilder. Er zerlegte die visuellen Informationen, vervielfältigte, beschleunigte und mixte sie. Gleichzeitig suchte er nach immer neuen Möglichkeiten, für die Monitore, die er in großer Zahl einsetzte, plastische Formen zu entwickeln. Hatte er 1977 zur documenta noch einen Videodschungel als weitläufige Installation geschaffen, konzentrierte er sich später darauf, roboterähnliche Video-Skulpturen zu bauen.

HNA 18. 8. 1998

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