René Block präsentiert in Wiesbaden an mehreren Schauplätzen die Ausstellung Fluxus und die Folgen
WIESBADEN. Vor 40 Jahren wusste die beschauliche hessische Landeshauptstadt Wiesbaden nicht, wie ihr geschah. Da brach mit den von George Maciunas organisierten Fluxus Festspielen Neuester Musik die wilde Anti-Kunst über die Stadt herein. Seitdem gilt Wiesbaden als Geburtsort der internationalen Fluxus-Bewegung, obwohl diese viele Ursprungsorte hat. Das Wort Fluxus steht für den ständigen Wechsel, für das Fließende. Dementsprechend geht in der Fluxus-Kunst das eine in das andere über die Musik in die Aktion, die Aktion in die Malerei, in die Literatur oder in die Video-Kunst und in alle denkbaren Zwischenformen. Vor allem aber war Fluxus in den Anfängen Anti-Kunst, heiterer Protest und lärmendes Chaos. Ben Vautier, John Cage, Nam June Paik, Wolf Vostell, Emmett Williams und Joseph Beuys waren in den 60er-Jahren prominente Vertreter der Fluxus-Bewegung, die dann doch zur Kunst wurde. René Block, der Direktor der Kunsthalle Fridericianum in Kassel, ist ein exzellenter Kenner und Liebhaber der Fluxus-Bewegung. Schon zwei Mal (1982 und 1992) hat er in Wiesbaden in Ausstellungsprojekten Rückschau auf diesen künstlerischen Aufbruch gehalten, der viel auslöste. Er organisierte auch eine historisch angelegte Fluxus-Schau mit, die durch das Ausland wandert und vom 14. Dezember bis 9. Februar Station im Fridericianum macht. In Wiesbaden nun zeigt er zusammen mit Regina Bärthel aus Anlass des 40. Geburtstages der Bewegung die Ausstellung Fluxus und die Folgen. Heißt das, dass Fluxus nach wie vor lebendig ist, obwohl man nur in historischen Bezügen von ihr spricht? Ja, in einer Hinsicht war Fluxus dauerhaft Modell: Zahlreiche Künstler arbeiten heute mit ständig wechselnden Strategien Bild, Projektion, Installation und Performance gehen ineinander über. Geblieben ist außerdem das weltweite Netzwerk, durch das die Künstler verbunden sind. Allerdings hat sich der Fluxus-Geist auf anderen Feldern völlig überlebt. Die Phase des Protestes und des Widerstandes gegenüber der überlieferten Kunst war bereits in den 70er-Jahren überwunden, auch galt bald die einzelne Künstler-Persönlichkeit mehr als die Gruppe. Das Widerständige und Chaotische der Anfangsjahre wird an einem Punkt der Wiesbadener Ausstellung beschworen: In dem Projektbüro Stadtmuseum (Friedrichstraße 7) hat Emmett Williams sein Archiv ausgebreitet. Dort kann man erahnen, welche Bürgerschreck-Effekte damals freigesetzt wurden. Die meisten anderen Arbeiten aber wirken dagegen bei allem Hintersinn und Einfallsreichtum still und poetisch. Selbst dort, wo der Tscheche Jiri Cernicky in guter alter Tradition zerstörerisch vorgeht, entsteht ein fast ästhetisch reines Werk: Cernicky hat Monitore zerschreddert, und zeigt auf dem ausgestreuten Medienmüll auf Monitoren, wie diese Zerstörung ablief. Darin steckt der Versuch einer Ablösung von dem Fluxus-Pionier Paik, der die Video-Kunst mitbegründete. Doch man spürt keine Brisanz mehr. René Block musste in Wiesbaden seine Ausstellungsorte zusammenstoppeln. Den idealsten fand er in den beiden leer geräumten Etagen des Karstadt-Technikkaufhauses (Schwalbacher Str.). In dieser Abbruchatmosphäre können sich die Arbeiten gut entfalten. Die dänische Gruppe Superflex kommt dort mit ihrem Internet-Projekt den Fluxus-Vätern am nächsten. Ansonsten zeigt sich: Fluxus ist keine Lebenshaltung mehr, sondern das Schlüsselwort für eine poetische Sprache, mit deren Hilfe Vertrautes auf den Kopf gestellt wird. Einige Künstler hätte man unter diesen Vorzeichen nicht erwartet. Und manche Arbeit sieht man wieder, die Block in anderen Zusammenhängen in Kassel gezeigt hat. Ein schönes neues Beispiel stellt die Kasseler Kunststudentin Nina Jansen vor: In einer Vitrine präsentiert sie Tempo-Tücher, von denen sie eines mit ihren Initialen bestickt hat. Bestechend ist auch die Arbeit Produktausgleich von Florian Slotawa, der die unterschiedlichsten Küchengegenstände so gestapelt hat, dass gleich hohe Türme entstanden. Eine besondere Ehre wird der Documenta11-Künstlerin Mona Hatoum zuteil, die als Trägerin des George-Maciunas-Preises mehrere Räume im Nassauischen Kunstverein (Wilhelmstraße 15) erhielt. Ihre Arbeiten bewegen sich zwischen surrealem Witz und grotesker Spiegelung der Gewalt.
HNA 10. 9. 2002