Den Schrecken Gestalt geben

Die Alte Nationalgalerie Berlin feiert den spanischen Maler Francisco Goya

Sein berühmtestes und anrüchigstes Bild ist „Die nackte Maya“. In dem zwischen 1798 und 1805 geschaffenen Gemälde hat der spanische Maler Francisco Goya (1746 – 1828) eine Frau als verführerische Schönheit dargestellt. Die Nackte war nicht länger Vorwand oder Symbol, sondern war genau als das gemeint, als das man sie ansah. Das war neu und revolutionär für diese Zeit des Umbruchs.
Zehn Jahre später musste sich Goya vor der spanischen Inquisition, der berüchtigten Gerichtsbarkeit der katholischen Kirche, wegen des Bildes verantworten. Möglicherweise kam er deshalb glimpflich davon, weil er immer verstanden hatte, mit den Mächtigen zu paktieren und weil er Hofmaler in Madrid war.
Das Bild wanderte übrigens 1808 in den Besitz des Ministers Godoy. Er ließ über das Bild der nackten Goyas kompositionsgleiche Darstellung der bekleideten Maja hängen. Ein Mechanismus half ihm, zwischen den Bildern zu wechseln.

Goya war ein durch und durch sinnlicher Maler. Dabei hatte er für die Schönheit und verführerische Kraft ebenso Augen wie für die Dummheiten und Grausamkeiten, die Qualen und die Alpträume. Wahrscheinlich hat der Schock einer schweren Krankheit, die ihn an den Rand des Todes führte und ihn taub werden ließ, seine Sinne weiter geschärft und ihn in der Darstellung so radikal werden lassen.
Vor allem seine Grafikserien „Caprichos“ (Launen) und „Die Schrecken des Krieges“ eröffnen Einblicke in die Abgründe des Menschlichen, wie sie vorher nicht zu sehen waren und wie wir sie heute als Fotodokumentationen kaum ertragen. Oft sind die mit Aquatinta unterlegten Radierungen nicht größer als 24×35 Zentimeter. Aber die Szenen sind wie monumentale Gemälde in den Raum gestellt. In ihrer Radikalität und in ihrem Realismus könnten Goyas Motive Bilder unserer Zeit sein. Auch in der Behandlung der Stoffe, in der Knappheit und Leichtigkeit weisen insbesondere die grafischen Bilder weit über seine Zeit hinaus. „Goya – Prophet der Moderne“ heißt dementsprechend die Ausstellung in der Berliner Alten Nationalgalerie, die neben Zeichnungen und Grafiken erstmals in Deutschland 80 Gemälde sowie Teppichentwürfe versammelt.
Goya erfuhr, dass in einer Zeit, in der die Aufklärung auf die Kräfte der Vernunft setzte, die Grausamkeiten, Lächerlichkeiten und Bösartigkeiten genauso ihre Triumphe feierten wie zuvor im Mittelalter. Sein Schlüsselbild dazu ist die Radierung „Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer“: Über einen Schlafenden fallen fliegende Ungeheuer her – weil die Vernunft schläft oder weil die schlafende Vernunft solche Schreckensbilder produziert.
Goya war ein scharfsinniger Beobachter. Er konnte mit den Opfern mitleiden, doch er war kein Moralist. Ähnlich wie ein Jahrhundert später Otto Dix hielt er alle Seiten des Lebens leidenschaftlich und leidenschaftslos zugleich in seinen Bildern fest. In diesen Kompositionen, die ohne Auftrag entstanden, erwies er sich als souveräner freier Künstler. In ihnen wird das Groteske ebenso greifbar wie das Surreale. Dies konnte er sich nur leisten, weil er durch geschicktes Taktieren und gezieltes Heiraten erst in Saragossa und dann in Madrid zum Gesellschafts- und Hofmaler geworden war, der selbst die Schreckensjahre der Franzosenherrschaft durch artiges Verhalten gut überstand.
Deshalb ist Goya auch in erster Linie als Porträtist, als Schöpfer offizieller Bilder bekannt geworden. Sie haben die Museen erobert, während viele Gemälde, die den dunklen Grafiken entsprechen, vielfach in kaum zugänglichen Privatsammlungen hängen. Die Berliner Ausstellung, die in Zusammenarbeit mit dem Prado in Madrid entstand, verspricht, dass sie auch den Zugang zu den weniger bekannten Gemälden vermittelt. Dadurch kann sie zum Jahrhundertereignis werden.
HNA 9. 7. 2005

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