Zwei Frankfurter Ausstellungen überraschen mit der Hinwendung zur figürlichen Kunst
FRANKFURT. Die beiden letzten documenta-Ausstellungen vermittelten den Eindruck, als sei die Malerei kein großes Thema mehr. Fotografie, Video und Installationskunst rückten in den Mittelpunkt. Dass diese Gewichtung nicht dem Bild der Wirklichkeit entsprach, ist mehrfach betont worden. Die Malerei ist nicht erledigt. Im Gegenteil, zwei Mal in Folge präsentierten gerade junge und experimentelle Galerien in der Kunstmesse Art Frankfurt im Übermaß neue, gegenständliche Malerei. Auch in den Kunsthochschulen wie Kassel sind die Maler keine Minderheit. Doch die Ausstellungspolitik der Museen und Kunsthallen ignorierte das bis vor kurzem. Nun aber geben in Frankfurt die Kunsthalle Schirn und der Kunstverein gleichzeitig das Signal zur Neubesinnung. Sie verschaffen der Malerei und insbesondere der figürlichen Kunst einen großen Auftritt. Während die Schirn einen historischen Blick auf den Radikalen Realismus, beginnend bei Francis Picabia, versucht, präsentiert der Kunstverein ein Panorama aktueller deutscher Malerei. Es ist gut, dass es die beiden Ausstellungen gibt. Damit wird rund zwei Jahrzehnte nach dem Aufbruch der wilden Malerei eine Bewegung zur Kenntnis genommen, die es schon lange gibt. Die Malerei musste nicht neu erfunden werden, sie war nie erledigt. Beide Ausstellungen wenden sich der figürlichen Malerei zu und konzentrieren sich auf jene Künstler, die wissen, dass eigentlich der Realismus im traditionellen Sinne für sie kein Thema ist, und dass sie sich folglich nur über eine kritische oder ironische Distanz ihm nähern können. Ihre Malerei basiert häufig auf der Auseinandersetzung mit Film und Fotografie und macht damit den Stellenwert der Malerei zum Thema. Die Ausstellung in der Schirn wirft viele Fragen auf und ruft zum Widerspruch heraus: Wenn man eine historische Schau zum Realismus mit Werken Picabias aus den Kriegsjahren 1940/42 beginnen lässt, darf man nicht davon absehen, dass zu der Zeit der Realismus durch den Faschismus und Kommunismus belegt und missbraucht worden war. Diese Konstellation, die bis in unsere Gegenwart Folgen hat, lässt die Ausstellung außer Betracht. Ebenso übergeht sie die verschiedenen Aufbrüche der vergangenen 50 Jahre beginnend bei der Pop-art und den kritischen oder Foto-Realisten. Auch Figuren wie Gerhard Richter, Georg Baselitz oder Jörg Immendorff kommen nicht vor. Umgekehrt wundert man sich über den Versuch, den Lieblingsmaler der 50er-Jahre, Bernard Buffet, wieder zu rehabilitieren. Gleichwohl ist die Ausstellung anregend und umfasst sehr schöne Kabinette. Zentrale Figur ist Martin Kippenberger, der zeitweise Plakatmaler für sich arbeiten ließ und damit der Schau zu ihrem Titel Lieber Maler, male mir verhalf. Großartig und rätselhaft sind die Gemälde von Neo Rauch, die gemalten Filmstreifen von Carole Benzaken oder Peter Doigs Bilder mit seinen verlorenen Welten. Im Kunstverein lernt man die ganze Breite heutiger Kunst kennen von der Farbwolke an der Wand (Katharina Grosse) über eine neue wilde Malerei (André Butzer) bis hin zu den fotorealistischen Gemälden von Hendrik Krawen. Die Schau dokumentiert die unentwegte Lust an der Malerei. Selbst dort, wo sie nur zitiert oder vertraute Positionen spiegelt, bekundet sie ihre vitale Kraft. Von stärkster Überzeugungskraft ist der aus Kassel stammende Bernhard Martin, der alle Techniken und Stile beherrscht und aus diesem Vermögen Bilder schafft, die wie Collagen wirken und die Malerei thematisieren.
HNA 5. 2. 2003