Träumen an Fulda, Werra und Weser

In einem für die kleine Stadt Hann. Münden einmaligen Kraftakt wurde mit Hilfe von Ex-documenta-Chef Jan Hoet und Sponsoren das Kunstprojekt 3 Räume 3 Flüsse initiiert.

Kunst in der Provinz. Das ist immer ein Wagnis und ist immer eine Provokation. Doch wenn man dies meint, darf man nicht glauben, die Provinz sei auf Orte unter 100000 Einwohnern beschränkt, sei ein regional eingrenzbares Phänomen. Nein, mit Provinz meint man eine Stimmungs- und Gemütslage, die man überall antreffen kann.Die jüngste Debatte des Bundestages über Hans Haackes geplanten Beitrag für den Berliner Reichstag war ein anschauliches Beispiel dafür. Insofern brauchen sich die Verantwortlichen in Hann. Münden nicht zu ärgern, dass es phasenweise erhebliche Widerstände gegen das Kunstprojekt 3 Räume 3 Flüsse gab, das den Expo-Beitrag Wasserspuren ergänzen soll. Schließlich wären die ausgesuchten Kunstwerke auch schlecht, würden sie nur gefallen und nicht Widerspruch herausfordern. Doch nicht auf die widerstrebenden Kräfte sollte man blicken, sondern auf die große Zahl derjenigen, die die Idee, den unvergleichlichen Reiz der Drei-Flüsse-Stadt durch künstlerische Arbeiten zu spiegeln, begeistert aufgriffen und sich von der ansteckenden Kunst-Lust des Belgiers Jan Hoet mitreißen ließen. Der künstlerische Leiter der documenta IX war für Hann. Münden eine erstklassige Wahl. Nicht nur weil Hoets Name international Klang hat, und auch nicht, weil das, was er im Ausstellungswesen macht, immer Qualität hat. Überragend ist der Genter Museumsdirektor einfach deshalb, weil er bei jedem Anlass, der ihm wichtig ist, ein auf den Ort und die Situation zugeschnittenes Konzept entwickelt. In diesem Fall entschied er sich für ein drei- bis vierstufiges Ausstellungsprogramm. Die klassische Ausstellung, die sich um Werke von Künstlern dreht, die sich thematisch mit dem Wasser auseinander gesetzt haben, wird am 10. Juni (bis 25. September) im historischen Packhof eröffnet. Aber diese Schau allein wäre nicht des Aufhebens wert. Gewicht erhält das Hoetsche Projekt für Münden durch seinen Plan, 18 internationale Künstler nach Hann. Münden einzuladen und sie an den Ufern von Fulda, Werra und Weser Skulpturen oder Installationen entwickeln zu lassen, die sich mit der gegebenen Fluss-Situation auseinander setzen. Und seine spezielle Eigenart gewann das Vorhaben 3 Räume 3 Flüsse dadurch, dass es 1998 bereits behutsam begonnen wurde, im vorigen Jahr beschleunigt fortgeführt wurde und nun zum 24. Mai fertig gestellt werden soll. So konnten sich einerseits die Bewohner Hann. Mündens allmählich auf die Kunstprojekte einlassen, und so können die später eingeladenen Künstler auf das reagieren, was ihre Kollegen gemacht haben. Die Besucher, die das Kunstprojekt in seiner ganzen Dimension erkunden wollen, werden zum Laufen entlang der Flussufer verführt und lernen die wegen ihres Fachwerks berühmte Stadt von einer neuen Seite kennen. Es ist kaum möglich, die Arbeiten, die jetzt schon zu sehen sind, summarisch einzugruppieren. Zu unterschiedlich sind die Ansätze und Temperamente. Aber es beeindruckt nachhaltig, wie sehr und genau sich die meisten Künstler auf die Stadt und ihre Eigenheiten eingelassen haben. Micha Ullman beispielsweise hat dies gleich doppelt getan: An einem Uferstreifen der Werra hat er als Negativform ein Boot aus Beton in den Boden eingelassen. Das hohle Innere läuft vor allem bei Hochwasser randvoll zu. Hochwasser heißt daher die Arbeit. Der aus Russland stammende Kunst-Ironiker Ilya Kabakov hat über den gleichen Flussarm ein paar Dutzend Meter weiter eine zierliche Brücke aus Draht gespannt, über die eine Frau in historischem Kostüm geht. Diese Brücke bedeutet eine liebvolle Annäherung an die auf ihre Geschichte fixierte Stadt und ironisiert zugleich diese Annäherung. Was die Arbeiten dieser beiden documenta-Künstler und viele andere Beiträge verbindet, ist die große Kraft der Poesie. Auch Kazuo Katases Hochsitz-Skulptur wird zum Träumen am Flussufer einladen. Die Bilder, die die Künstler liefern, bieten höchst Vertrautes. Aber sie behalten ihre kleinen Rätsel ganz für sich.

HNA 18. 4. 2000

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