Wie ein Traum von alter Zeit

Ilya Kabakovs „Die alte Brücke“ über die Werra ist jetzt als erstes von 18 Kunstprojekten zum Expo-Projekt „3 Flüsse – 3 Räume“ in Hann.Münden offiziell übergeben worden.

HANN.MÜNDEN So geht das, wenn man weltläufig sein will: Schon am Zugang zu der Insel Doktorwerder in Hann.Münden weist ein Schild darauf hin, daß man hier zu Ilya Kabakovs Beitrag zum Expo-Projekt „3 Flüsse – 3 Räume“ gelangen kann. Auch der Titel der Skulptur ist da zu lesen: „The Old Bridge“. Die filigrane Drahtkonstruktion, die wie eine in den Raum übertragene Zeichnung über der Werra schwebt, hat schon die Herzen mancher Bürger erobert. Jetzt waren Ilya Kabakov und der künstlerische Leiter des Projekts, Jan Hoet, in die Drei-Flüsse-Stadt gekommen, um das Werk offiziell zu übergeben und im historischen Rathaus Bürgerfragen zu beantworten.
Die eine Frage war, wie es schien, mal wieder typisch: Warum denn nur der Titel in englischer Sprache formuliert werden müsse. Ja, du liebe Zeit, mochte da mancher für sich gedacht haben: Was will man denn von einem russischen Künstler, der in den USA lebt und eine Skulptur für ein internationales Kunstprojekt entwickelt, verlangen? Andere haben vielleicht ob dieser Bemerkung in sich hineingegrinst. Doch plötzlich waren sie die Blamierten. Kabakov sagte nämlich schlicht und einfach: Der Titel ist „Die alte Brücke“. Stadtdirektor Klaus-Peter Lütcke reagierte geistesgegenwärtig. Man werde die Schilder ändern, sagte er.
„Die alte Brücke“ also. Wie ist der Künstler darauf gekommen? Kabakov ist liebenswürdig und bescheiden zugleich: Die Ideen flögen durch die Luft, die Künstler brauchten sie nur aufzugreifen. Damit verbindet er eine Verbeugung vor dem Ort, denn erst da, am Flußufer sei ihm die Idee gekommen, und nur dort sei die in der Luft schwebende Brücke als Verbindung von Vergangenheit und Zukunft möglich. Damit beschreibt Kabakov sehr genau seine künstlerische Position: Er entwirft nicht im Atelier Skulpturen und Installationen, um diese dann an irgendeinem Ort zu zeigen, vielmehr läßt er sich von der Aura des Platzes zu Entwürfen inspirieren. So ist die besorgte Frage einiger Bürger, was denn mit der Brücke nach dem Abschluß des Expo-Projektes zum Jahr 2000 geschehe, in einer Hinsicht klar beantwortet. Sie wird nicht an anderer Stelle aufgehängt.
Hann. Münden kann sich glücklich schätzen, daß die Stadt zu einem idealen Zeitpunkt Kabakov und seine Arbeit, die wie ein Traum von alter Zeit erscheint, in Empfang nehmen kann: Heute und morgen feiert Goslar den 65jährigen mit der Überreichung des Kaiserrings. Außerdem ist der Künstler, den Jan Hoet für den Beuys der 90er Jahre hält, im Moment mit mehreren Skulpturprojekten zwischen der Toskana und Bremerhaven beschäftigt.

HNA 16. 10. 1998

Schreibe einen Kommentar