1931 schuf der Katalane Salvador Dali (1904 – 1989) sein Gemälde „Die weichen Uhren“ (oder „Die Beständigkeit der Erinnerung“). Es wurde zu einem der Schlüsselbilder des Surrealismus.
Auf die Frage, was denn wirklich sei, scheint sich eine einfache Antwort finden zu lassen. Also beziehen wir den Wirklichkeitsbegriff auf alles das, was wir mit unseren Sinnesorganen wahrnehmen können. Aber Mitte der 20er Jahren begannen Schriftsteller und Künstler, über die Wirklichkeit hinauszugehen, um auch das einfangen und umsetzen zu können, was sich der von der Vernunft kontrollierten Wahrnehmung entzieht – das automatische Denken und Reagieren, das Unterbewußte, die Traumwelten. Diese Künstler wollten nichts erfinden, sondern die verdrängten Bilder vor Augen führen. So erweiterten sie den Realismus zum Über- oder Sur-Realismus. Wortführer war Andre? Breton. Max Ernst, Jean Miro? und Rene? Magritte wurden zu exponierten Künstlern des Surrealismus.
Salvador Dali stieß erst 1928 zu der Bewegung und wurde bald zu deren bekanntester und auch immer wieder umstrittestener Figur. Seine surreale Malerei bestach dadurch, daß die aus dem Unterbewußten geschöpften Motive mit einer Raffinesse und in einer solchen traditionell perfekten Technik komponiert waren, daß sie wirklich und vorstellbar wurden. Dali, der aus Spanien nach Paris übergesiedelt war, schien unerschöpflich bei der Ausgestaltung von Visionen zu sein, in denen nicht nur ungewohnte Dinge zueinander gebracht wurden, sondern in denen er sie auch beliebig verformte.
In dem Gemälde „Die weichen Uhren“ blickt man in eine düstere und öde Küstenlandschaft, in der selbst der Baum abgestorben ist. Dominierend sind die drei übergroße Taschenuhren, die wie nasse Lappen gebogen über einen Ast, eine Podestkante und eine Körperform herunterhängen. Es ist als sei die Zeit ausgelaufen, als sei selbst den Uhren alle Kraft genommen. Und doch ist Leben im Bild: Auf der vorne hängenden Uhr wirft eine Fliege einen Schatten und auf der daneben normal liegenden Uhr tummeln sich Ameisen.
Elefanten auf Spinnenbeinen, brennende Giraffen und Frauen, aus deren Körpern Schubladen herausgezogen sind – Dalis Welten erscheinen bis heute atemberaubend. Während andere Mitstreiter die Surrealismus-Bewegung teilweise überwanden, trennte sich Dali zwar von der Gruppe, blieb dem Geist aber treu. Diese Treue war so umfassend, daß der Künstler, der sich als einen göttlichen Schöpfer feierte, sein gesamtes Leben in eine einzigartige surrealistische Inszenierung verwandelte. Als er zum Kopisten seiner eigenen Ideen geworden war, konnte er (an der Seite seiner Frau und Muse Gala) nur noch sich selbst spielen.
HNA 24. 3. 1999