Die Kunsthalle Fridericianum in Kassel präsentiert Arbeiten von Ray Johnson
KASSEL. Der Direktor der Kunsthalle Fridericianum in Kassel, René Block, hat eine Vorliebe für jene experimentelle Kunst, die mit den Mitteln der Kunst spielt und sich dabei ebenso der Sprache wie der Musik öffnet. Das, was normalerweise mit einem Akt der Verweigerung beginnt, bringt am Ende poetische Werke hervor, die die überlieferte Form der Kunst infrage stellen und sie zugleich um eine weitere Facette bereichern. Die Dada-Bewegung, die vor knapp 80 Jahren entstand, gehört genauso dazu wie die Fluxus-Bewegung, die in den 60er-Jahren ihre Ursprünge hatte. Auch der amerikanische Künstler Ray Johnson (1927 1995) war ein Grenzgänger. Auf intensive Weise verband er Bild und Sprache. Wohl verstand er sich als ein Teil im Netzwerk der bildenden Kunst, er bezog auch viele seiner Arbeiten auf Künstlerkollegen, doch er blieb ein Außenseiter und war in der Öffentlichkeit weit gehend unbekannt. Die Erklärung dafür ist einfach: Ray Johnson hatte sich dem direkten Kunstbetrieb entzogen und sich darauf beschränkt, seine Arbeiten per Post zu versenden (und zu verschenken). Nun haben Künstlerpostkarten eine lange Tradition. Doch Johnsons Poststücke waren nicht einfach kleine Bildbotschaften, die mit Adresse versehen und frankiert wurden. Seine Arbeiten thematisierten auch immer die Briefbotschaft, die Verbindung von Mitteilung und Bildgruß; sie reflektierten sich selbst. Ray Johnson, der in den 50er-Jahren begonnen hatte, seine Arbeiten zu versenden, gilt heute als der Pionier der Kunst, die mit dem Postdienst spielt und Mail-art genannt wird. Die Kunsthalle Fridericianum präsentiert in Zusammenarbeit mit dem Nationalmuseum für zeitgenössische Kunst in Oslo eine Übersicht über das Schaffen von Johnson. Eine Vielzahl von Briefen, gestalteten Postkarten und Kuverts dokumentiert Johnsons ungewöhnliche Arbeitsweise. Und Ina Blom liefert in dem Katalog aufschlussreiche Betrachtungen zu dem besonderen Spannungsverhältnis von Senden und Verschenken im Werk von Johnson. Dabei wird deutlich, wie es dem Künstler gelang, das durch seine Werke entsehende Kommunikationsnetz zum Teil seiner Arbeit werden zu lassen. In dem Katalogtext kommt allerdings der poetische Charakter von Johnsons Arbeit zu kurz. Die Briefe entpuppen sich nämlich bei näherem Hinsehen als prägnante literarische Kurzformen, die genauso vielfältig sind wie die fantasievollen und ausdrucksstarken Collagen (Klebebilder). Die Collagen, die häufig an die surreale Bildsprache von Max Ernst anknüpfen, bestehen übrigens als eigenständige Werke. Sie werden in der Ausstellung zu Bildern, die sich kaum von anderen Arbeiten unterscheiden, die auf traditionelle Weise entstanden sind.
HNA 1. 4. 2003