Ostkunst wurde salonfähig

Gisela Schirmers Buch „DDR und documenta“
KASSEL. Zum 50. Geburtstag der documenta in diesem Jahr sind zahlreiche Bücher erschienen, die sich mit der Kasseler Weltkunstschau beschäftigen. Ein besonders spannendes Kapitel hat die Kunsthistorikerin Gisela Schirmer aufgeschlagen – die erste und einzige offizielle Teilnahme von DDR-Künstlern an der documenta im Jahre 1977.
Die documenta war 1955 als eine Ausstellung auf den Weg gebracht worden, die der freien (abstrakten) Kunst ein Forum bieten sollte. Gerade die geografische Nähe Kassels zur DDR sollte genutzt werden, um eine Gegenposition zum sozialistischen Realismus zu beziehen. Insofern wäre es anfangs undenkbar gewesen, offizielle Ostblock-Künstler in Kassel vorzustellen. Die Situation wandelte sich zu Beginn der 70er-Jahre. Als Harald Szeemann die documenta 5 plante, wollte er die Formen des neuen Realismus der Amerikaner mit den Ostblock-Realisten konfrontieren. Diese Bemühungen, die vielen unbekannt sind, schildert Gisela Schirmer.
Das Buch liest sich zeitweise wie ein Krimi. Denn die Autorin zeigt, welch langwieriges und vorsichtiges Verhandeln der Einladung der DDR-Künstler vorausging. Allerdings kann sie nicht alle Einzelheiten aufhellen. Gisela Schirmer unterstellt zwar, dass die Maler Georg Baselitz und Markus Lüpertz vor allem aus Platzgründen (auf Betreiben ihres Galeristen Michael Werner) ihre Bilder aus der documenta 6 zurückgezogen hätten. Doch die Behauptung, der Rückzug sei aus Protest gegen die DDR-Teilnahme erfolgt, kann sie damit nicht aus der Welt schaffen.
Gisela Schirmer leistet wichtige Aufklärungsarbeit. Allerdings berücksichtigt sie zu wenig, dass in der westdeutschen Kunstszene nicht nur die DDR-Künstler unbeliebt waren, sondern dass auch die hiesigen Realisten keinen guten Stand hatten.
Das Buch will die These widerlegen, die documenta-Leitung sei 1977 durch die DDR zu bestimmten Maßnahmen erpresst worden. Doch die Werke der DDR-Künstler wurden als einzige wie ein Länderbeitrag behandelt, obwohl doch die documenta im Gegensatz zur Biennale in Venedig sonst immer nur Einzelkünstler eingeladen hat. Nicht völlig geklärt wird, ob nicht doch auf Grund von politischem Druck ein Bild des Malers A.R. Penck aus der Ausstellung entfernt wurde. E Gisela Schirmer: DDR und documenta – Kunst im deutsch-deutschen Widerspruch, Dietrich Reimer Verlag, 176 Seiten, 24,90 Euro.
HNA 26. 10. 2005

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