Der stete Blick in den Spiegel

Rembrandt war in vielen Hinsichten einzigartig – In allen Lebensaltern malte er sich selbst

Wir wissen nicht viel darüber, welche Gedanken Rembrandt beim Malen beschäftigten, warum er einzelne Motive wählte und wie er zum Wechsel seiner stilistischen Mittel fand. Was wir aber sehr gut wissen, ist, wie Rembrandt aussah und wie er sich im Laufe seines Lebens veränderte.
Es war im 17. Jahrhundert keineswegs ungewöhnlich, dass sich Maler selbst porträtierten. Aber kein anderer Künstler seiner Zeit hat sich so oft und so variationsreich gemalt wie der aus Leiden stammende Künstler, der in Amsterdam zu Ruhm kam. Von Rembrandt sind rund 40 gemalte Selbstporträts überliefert, dazu kommen 31 Radierungen mit seinem Kopf und einige Zeichnungen.
Was treibt einen Künstler dazu an, sich so oft und so beständig selbst zu beobachten und zu studieren? Die nahe liegende Vermutung ist, dass Rembrandt ein großes Bedürfnis hatte, sich seiner selbst zu vergewissern – seinen Stimmungen und seinen Gefühlen Ausdruck zu geben und seine, wie wir heute sagen, Identität zu bestimmen.
Doch die Forschung lehnt eine solche Interpretation ab. Die Ich-Suche des Künstlers, so schrieb der Rembrandt-Experte Ernst van de Wetering anlässlich der Ausstellung „Rembrandts Selbstbildnisse“ im Jahre 1999 in London und Den Haag, sei kein Thema der Kunst des 17. Jahrhunderts gewesen. Diese Auseinandersetzung habe erst später, insbesondere in der Romantik, begonnen. Dabei kann sich van de Wetering auch auf andere Forscher berufen.
Es gibt auch einen etwas äußerlichen Beweis dafür, dass Rembrandt seine Selbstbildnisse nicht als individuelle (private) Seelenbespiegelung betrieb: In der nach seinem Tod aufgestellten Nachlassliste findet man keinen Hinweis auf eines der Selbstporträts. Das heißt, dass offenbar alle Gemälde verkauft waren.

Aber was war es dann, was ihn zum steten Blick in den Spiegel verführte? Richtig ist natürlich die Annahme, dass der Künstler für sich das billigste und am besten verfügbare Modell war. Auf sich selbst konnte er zu jeder Gelegenheit zurückgreifen, und mit seiner eigenen Gestalt konnte er am besten bildnerisch experimentieren.
Der Hauptantrieb mag zumindest anfangs der Wunsch gewesen sein, Charakterstudien, Tronien genannt, zu schaffen, in denen er unabhängig von einem Porträt die Gestaltung von Gesichtszügen ausprobieren konnte. Rembrandt nutzte dazu anonyme Modelle – oder eben sich selbst. Vor allem unter den frühen Radierungen sieht man einige Blätter, in denen sich der Künstler mit aufgerissenen Augen oder mit einem zur Grimasse verzerrten Gesicht darstellte. Das waren eindeutig künstlerische Studien und nicht Dokumente von Stimmungen.
Ein weiteres Motiv für die malerische Beschäftigung mit sich selbst mag sein Wunsch gewesen sein, größere Historiengemälde in Einzeldarstellungen vorzubereiten. Rembrandt liebte allem Anschein nach die Inszenierung. Nicht nur seine Frau Saskia steckte er in eine prachtvolle Kostümierung. Auch sich selbst bildete er immer wieder in historischen oder exotischen Kleidern ab. Er schlüpfte in Rollen. So gehört der Kasseler Gemäldegalerie ein Gemälde, auf dem sich der 28-jährige Künstler mit Sturmhaube zeigte (siehe unten). Nur gelegentlich nutzte er die Komposition, um sich als Maler zu porträtieren. Eine ganze Reihe von Selbstbildnissen zeichnet sich dadurch aus, das der Künstler sich in Kostümen zeigte, die er mit großer Sorgfalt gemalt hatte.
Entscheidend wird aber gewesen sein, dass mit dem wachsenden Ruhm des Künstlers auch die Nachfrage nach Selbstporträts gestiegen ist. Die Käufer hatten mit dem Erwerb doppelten Gewinn: Sie bekamen ein Gemälde in die Hand, das die eigenwillige Meisterschaft des Malers dokumentierte, und sie verfügten zugleich über ein Bildnis des Malers, der in aller Munde war.
Wie beliebt die Selbstporträts gewesen sein müssen, kann man an der Vielzahl der Kopien ermessen, die in seiner Werkstatt oder seinem Umfeld angefertigt wurden. Als der hessische Landgraf Wilhelm VIII. in der Mitte des 18. Jahrhunderts seine Gemäldesammlung anlegte, meinte er, 34 Gemälde Rembrandts erworben zu haben. Doch zwei Drittel der Bilder stammten von anderen Malern, wie eine jetzt im Kasseler Schloss Wilhelmshöhe laufende Ausstellung dokumentiert. Unter diesen 34 Gemälden waren immerhin drei Selbstporträts Rembrandts, von denen allerdings nur eines beim Ankauf erkannt war: Das „Selbstbildnis mit Barett und goldener Kette“.
Das „Bildnis mit Sturmhaube“ und die Kopfstudie eines jungen Mannes mit verschatteten Augen wurden erst später als Selbstporträts bezeichnet. Allerdings ist seit dem Jahre 1959 klar, dass es sich bei der Kopfstudie nicht um das Original, sondern um eine Arbeit aus der Werkstatt Rembrandts handelt. Denn in jenem Jahr tauchte im Kunsthandel das vermeintliche Original auf, das heute im Rijksmuseum in Amsterdam zu sehen ist. Das Motiv muss aber schon damals so gefragt gewesen sein, dass Rembrandt selbst eine zweite Version malte.
HNA 15. 7. 2006

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