Eine weitere große Rembrandt-Ausstellung im Kasseler Schloss Wilhelmshöhe – Einblick in das Denken und Fühlen des Malers
KASSEL. Die Staatlichen Museen Kassel rühmen sich, über eine der größten und wichtigsten Rembrandt-Sammlungen verfügen zu können. Der besondere Wert des Bestandes besteht darin, dass die Sammlung in ihren Grundzügen seit der Mitte des 18. Jahrhunderts in Kassel beheimatet ist, als der damalige Landgraf´ Wilhelm VIII. vor allem Gemälde niederländischer und flämischer Meister erwarb.
Dieser stolze Besitz wird in einem Jahr wie diesem, da die Kunstwelt den 400. Geburtstag von Rembrandt Harmensz. van Rijn (1606-1669) feiert, zu einer besonderen Verpflichtung. Die Kasseler Museen sind dieser Verpflichtung gerecht geworden, indem sie aus dem Sammlungsbestand drei Ausstellungen entwickelten. Die erste zeigte als Ouvertüre zwei Hauptwerke des Niederländers, Die Blendung Simsons und Der Segen Jakobs im Kontrast. Die zweite wurde vor einem Monat eröffnet und bleibt bis 20. August zu sehen. Sie präsentiert die Werke, die vor 250 Jahren der Landgraf als Rembrandt-Bilder erwarb. Die dritte nun wird heute eröffnet und widmet sich der Landschaftsdarstellung in Rembrandts Werk. Das heißt: Wer in der Zeit bis zum 20. August die Gemäldegalerie in Schloss Wilhelmshöhe besucht, gewinnt durch die beiden parallel laufenden Ausstellungen einen so umfassenden Einblick, wie er nur selten geboten werden kann.
Wer sich in der Kasseler Gemäldegalerie auskennt, der ist dort mit zwei kontrastreichen Landschaftsgemälden von Rembrandt vertraut. In dem einen Fall handelt es sich um eine Miniatur, die den Zauber der niederländischen Winterlandschaft in realistischer Manier einfängt. Die Wirklichkeitsnähe – die klare Farbe des Himmels spiegelt die Kälte – wird selbst dadurch nicht gemindert, dass der Maler die Szene mit freundlicher Ironie betrachtet. Das Bild beeindruckt durch die Lockerheit und Spontaneität der Komposition. Man glaubt, eine vor Ort entstandene Ölskizze vor sich zu haben.
Das andere Kasseler Gemälde ist eine große Flusslandschaft mit Windmühle. Bei diesem Bild ist sich die Forschung einig, dass nur das rechte untere Viertel wirklich von Rembrandt gemalt worden sei. Die übrigen Teile seien später von einem Schüler oder Nachfolger vervollständigt worden. Auch dieses Bild begeistert durch seine Detailtreue und Vielfalt. Doch bei der Anlage der Komposition ist Rembrandt völlig anders als bei der Winterlandschaft verfahren: Er hat eine Fantasielandschaft entworfen, in der viele unterschiedliche Elemente vereint sind. Wichtiger als die Frage nach der Wirklichkeit ist die Gestaltung der Stimmung. Die ganze Kraft ist in die Kontraste von Licht- und Schattenzonen gelegt – wie wir es auch aus Rembrandts Porträts und Historienbildern kennen.
Von Rembrandt sind nur acht Landschaftsgemälde überliefert. Vor diesem Hintergrund ist der Kasseler Bestand von zwei Werken beachtlich. Die Ausstellung, die in enger Zusammenarbeit mit dem Stedelijk Museum in Leiden entstand, vereinigt von den acht Landschaften immerhin sechs. Sie bilden, im Kreis aufgestellt, das großartige Zentrum der Schau.
Aber Rembrandt war nicht nur Maler, sondern auch Zeichner und Radierer. Mag man die Gemälde als Schwergewichte empfinden – die grafischen Blätter erlauben einen Einblick in das Fühlen und Denken des Malers. In ihnen offenbart sich die ganze Kunst Rembrandts – seine Meisterschaft, noch vor dem entferntesten Horizont eine Stadtsilhouette umreißen zu können, oder Häuser- und Baumgruppen nur knapp zu skizzieren. Rembrandt hatte eine besondere Vorliebe für alte, verfallene oder verschrumpelte Formen. In einer Vielzahl meisterhafter Zeichnungen und Radierungen hat er das Bild einer untergehenden dörflichen Welt entworfen.
HNA 23. 6. 2006