Die Rekonstruktion einer Sammlung

Ausstellung in der Kasseler Galerie Alte Meister: „34 Gemälde Rembrandts in Kassel!“

KASSEL. Die Bilanz klingt erschreckend: Von den 34 Rembrandt-Gemälden, die man in Kassel zu besitzen glaubte, sind zwar 24 übrig geblieben, doch nur noch zehn gelten als Werke des Meisters. Folgenreicher als Kriegszerstörung und Kriegsbeute war die Arbeit der Kunstwissenschaftler. Die fanden nämlich im Laufe der Zeit, vor allem nach Entdeckung neuer Untersuchungsmethoden wie Röntgenstrahlen und Ultraschall, heraus, dass die meisten Gemälde, die Rembrandt zugeschrieben wurden, Schülerarbeiten oder Kopien waren oder von anderen Malern stammten.
Die einstmals große Kasseler Rembrandt-Sammlung hatte der hessische Landgraf Wilhelm VIII. (1682-1760) zusammengetragen. Ihm sind unter anderem das Porträt der Saskia, das wunderbar lebendige „Bildnis des Nicolaes Bruyningh“, die herrliche, skizzenhafte Winterlandschaft und das Hauptwerk, „Der Segen Jacobs“, zu verdanken. Der Landgraf profitierte davon, dass er lange Zeit in den Niederlanden gelebt und dortige Sammlungen gekannt hatte, dass er über beste Beziehungen zu Kunsthändlern verfügte und dass die Bilder Rembrandts in der Mitte des 18. Jahrhunderts nicht so hoch im Kurs standen.
Uns erscheint schwer vorstellbar, dass der Maler Rembrandt Harmensz van Rijn (1606-1669) in vergangenen Epochen geringer geschätzt wurde als andere Künstler, die wir als seine Zeitgenossen und Nachfolger kennen. Wir denken anders. Deshalb sind viele der vom Landgrafen gesammelten Bilder im Depot gelandet, weil ihnen der Rembrandt-Adel aberkannt worden ist.
Doch mit dieser Geringschätzung der Gemälde ist Gregor Weber, der Leiter der Gemäldegalerie, nicht immer einverstanden. Da ist etwa das „Bildnis einer jungen Frau mit Nelke“, das ein vorzügliches Gegenstück zur „Saskia“ bildet. Der Landgraf hatte das Bild als Rembrandt-Werk gekauft, das eine böhmische Prinzessin darstelle. Heute wird es dem Maler Ferdinand Bol (1616-1680) zugeordnet. Aber nach wie vor gilt, dass die weiche Malweise dem Stil Rembrandts sehr verwandt ist.

Weber nahm den 400. Geburtstag Rembrandts zum Anlass, um die Sammlung des Landgrafen zu rekonstruieren. So soll sichtbar werden, welche Vorstellungen die Menschen im Barockzeitalter von Rembrandts Kunst hatten. Gleichzeitig will er einige Gemälde rehabilitieren, die angeblich an Glanz verloren, weil sie dem Leidener Künstler nicht mehr zugeordnet werden. Dank dieser Rekonstruktion gewinnt der Maler Ferdinand Bol an Rang. Zu den bisher unbekannten Glanzstücken der Sammlung gehören die Porträts einer Frau und eines Mannes, die der Landgraf erworben hatte, dann unter Napoleons Herrschaft mit anderen Meisterwerken entführt wurden und seitdem getrennt sind. Jetzt sind sie erstmals nach 200 Jahren wieder vereint.
Die Ausstellung, die auf engem, kabinettartigen Raum im Oberlichtgeschoss von Schloss Wilhelmshöhe eingerichtet wurde, birgt viele bereichernde Aspekte. So werden nicht nur Werke der Schüler und Nachfolger Rembrandts gezeigt, sondern auch moderne Kopien. Eine lehrreiche Schau.
HNA 19. 5. 2006

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