Ausstellung Berlin Moskau/Moskau Berlin im Berliner Martin-Gropius-Bau
BERLIN. Die Ausstellung ist üppig und abwechslungsreich, sie vereint auf erfrischende Weise Gegensätze und beschert Neuentdeckungen. Aber die Besucher, die den Gang der Kunstentwicklung in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts nicht genau kennen, werden sich mitunter wie in einem Irrgarten fühlen. Denn die ehrgeizige Ausstellung Berlin Moskau/Moskau Berlin gibt mehr Rätsel auf, als dass sie Orientierungen vermitteln würde. Die Organisatoren wissen selbst, dass sie mit ihrem Projekt Unmögliches versuchten. Denn wenn man die Zeit von 1950 bis 2000 überblickt, dann hatten Berlin und Moskau (sprich: Westdeutschland und Russland) 40 Jahre lang keine Kulturbeziehungen; und außerdem war Berlin in der Nachkriegszeit nur bedingt Kunstmetropole. Erst ab 1990, nach der Wende, änderten sich die Voraussetzungen. Warum also die Ausstellung? Weil es eine sinnvolle und erfolgreiche Vorgänger-Veranstaltung gab, die 1995/96 unter dem Titel Berlin Moskau stattfand und die starken wechselseitigen Beziehungen in der Zeit von 1900 bis 1950 spiegelte. Die Entwicklung der Moderne in der Kunst ist ohne den deutsch-russischen Austausch gar nicht denkbar. Wie aber geht man mit zwei Kunstwelten um, die sich getrennt voneinander entwickelten und in denen sich nur vereinzelt Künstler auf die andere, hermetisch abgeschlossene Seite bezogen? Die Kuratoren stellten ein Mix aus den beiden Welten her, zeigen parallel Entstandenes, um in thematisch geordneten Abteilungen Unterschiede und gelegentliche Gemeinsamkeiten erkennbar werden zu lassen. Da es von der Kunstentwicklung keine zwingende Logik gibt, haben die Veranstalter bei der Ausstellungsgliederung auch gegen den Strich gebürstet. Die 45 Abteilungen sind zwar chronologisch angelegt, doch werden die Besucher aufgefordert, umgekehrt, also von heute aus, den Rundgang zu unternehmen was die Desorientierung fördert. Erschwert wird das Ganze dadurch, dass auch internationale Künstler einbezogen wurden, die wie Picasso mit Berlin und Deutschland nicht viel zu tun haten, deren Werk aber die westliche Kunst prägte. Ein schwerer Brocken also und doch ein erlebenswertes Ereignis. Denn dieser ungewöhnliche Zugang ermöglicht neue Einsichten. Auf der einen Seite sieht man Arbeiten von Georg Baselitz, Thomas Bayerle, KP Brehmer und Sigmar Polke, die politische Dimensionen erkennbar werden lassen, die sonst leicht übergangen werden. Zum anderen gewinnt im deutschen Beitrag die Malerei ein fast überstarkes Gewicht. Der für uns interessantere Teil ist der russische Beitrag. Da die offizielle sowjetische Kunst, wie berichtet, derzeit in der Frankfurter Schirn gefeiert wird, wird diese in Berlin nur angedeutet. Überraschend wirkt, wie viel Abweichendes und an der Westkunst Orientiertes es schon zu Sowjetzeiten gab. Noch wesentlicher aber waren die Arbeiten der so genannten Soz-Art, die in den frühen 70er-Jahren vorsichtig begann und Mitte der 80er-Jahre ihren internationalen Durchbruch erlebte. Die Künstler, die diese Bewegung trugen, unterliefen die offizielle Kunst, indem sie sich scheinbar zu ihr bekannten, ihre Mittel und ihr Bekenntnis zum Sozialismus nutzten und trotzdem auf grandiose Weise ironisierten und parodierten. Die Werke von Komar & Melamid sind hier ebenso zu nennen wie die von Igor und Svetlana Kopystiansky. Beide Künstler-Paare waren übrigens auch in der documenta vertreten. Durch sie wird auf ideale Weise die Brücke Berlin-Moskau geschlagen.
HNA 19. 11. 2003