Zum zweiten Mal findet auch in Berlin eine Biennale statt. Nachdem die erste die Berliner Szene gespiegelt hatte, sucht diese nun den internationalen Dialog.
BERLIN Wie viele Biennalen braucht, wie viele trägt die Kunst? Je mehr in Zwei-Jahres-Rhythmen veranstaltete Ausstellungen aus dem Boden sprießen, desto dringlicher stellt sich diese Frage. Und blickt man nach Berlin, dann liegt die Antwort auf der Hand. Nicht so sehr die Kunst verlangt nach dieser neuen Biennale, sondern die Hauptstadt, die immer noch damit beschäftigt ist, an ihrem kulturellen Profil zu basteln. Die Rahmenbedingungen sind überall ähnlich. Da wird ein internationales Kuratorenteam berufen, das unter ebenso international agierenden Künstlern auswählt. In diesem Fall wurde an die Spitze die Holländerin Saskia Bos berufen, die 1982 in Kassel an der Seite von documenta-Chef Rudi Fuchs ihre ersten Erfahrungen mit einer Großausstellung sammelte. Sie hat jetzt in Berlin eine Ausstellung organisiert, die die künstlerischen Trends der letzten Jahre bekräftigt – nämlich das, was an jüngerer Kunst in der vorigen Biennale von Venedig, in der documenta X und in anderen aktuellen Ausstellungen zu sehen war. Keine grundsätzlichen Überraschungen also, keine Trendwende und auch kein neuer gedanklicher Ansatz. Saskia Bos spricht sehr wohl von veränderten Haltungen. Die Künstler, von denen die Mehrzahl um die 35 Jahre alt ist, seien nicht mehr so selbstbezogen, sondern würden in Beziehungen denken und suchten die Auseinandersetzung mit der Kunst und den Betrachtern. Das kritische Potenzial ist allerdings vergleichsweise gering. Das per Videobeamer projizierte Wandbild von einem in der Luft zerfetzten Kriegsflugzeug über Vietnam (von David Claerbout) und das Video von Aernout Mik über das pausenlose Wegtragen von Menschen gehören zu den Arbeiten, die nachhaltig kritisch wirken, aber in der Minderzahl sind. In manchen Teilen lässt die Ausstellung daran denken, dass vor rund 20 Jahren eine Schau des Hamburger Kunstvereins nach der Rolle des Künstlers fragte und wissen wollte, ob diese nicht dabei seien, sich in Erfinder und Sozialarbeiter zu verwandeln. Wenn Surasi Kusolwong in eine mit bunten Tüchern gestaltete Installation einlädt und Besuchern, die es wünschen, auf Matten von Profis verabreichte Massagen anbietet, dann reduziert sich die Kreativität auf alltägliche Zuwendung. Im Vergleich dazu erscheint der rot-gelb gestaltete Schnellrestaurant-Raum von Muntean/Rosenblum noch wie ein künstlerisches Bild, auch wenn man sich in ein Stück stilisierte Wirklichkeit zurückversetzt sieht. Video-Geschichten An der Ausstellung fasziniert vor allem, wie groß die Lust der Künstler am Erzählen ist. Nachdem der Malerei und der Bildhauerei das Geschichtenerzählen ausgetrieben worden ist, bahnen sich die Geschichten über die (Video-)Installationen wieder ihren Weg in die Kunst. Als herausragendes Beispiel sei die Video-Arbeit von Darren Almond genannt, die aus drei Großprojektionen besteht: Auf der linken Bildwand berichtet ein Mann aus seinem Leben. Dieser durch Fragen provozierte Bericht wird doppelt kommentiert – durch das Mienenspiel im Gesicht seiner Frau auf der rechten Bildwand und durch den in der Mitte laufenden Schwarz-Weiß-Film, der die brutale Arbeit einer Planierraupe zeigt. Die Erzählstruktur wird durch die kleinräumige Struktur im ehemaligen Postfuhramt (Berlin-Mitte, Oranienburger/ Tucholsky-Str..) gefördert. Der zweite Standort, das Ausstellungsgebäude Kunst-Werke (Auguststr. 69), ist schon schwieriger. Einbezogen wurden ferner einige schöne, aber abseits liegende Räume in den S-Bahnbögen Jannowitzbrücke (Holzmarktstraße). Die Schwächen des räumlichen Konzepts und die Stärken des Hauptsponsors Allianz zeigen sich darin, dass drei Arbeiten außerhalb von Berlin-Mitte im Versicherungsbau Treptowers platziert werden mussten.
HNA 20. 4. 2001
Und am Ende siegt doch das Bild
Die zweite Berlin Biennale ist eine Ausstellung mit bemerkenswerten Arbeiten. Sie erfüllt aber nicht die Erwartungen, die sich mit dem Biennale-Begriff verbinden.
BERLIN Wenn sich in Deutschland eine Ausstellung zeitgenössischer Kunst etabliert, die in einem festen Turnus stattfinden soll, dann blickt man fragend zur Kasseler documenta: Wächst da eine ernst zu nehmende Konkurrenz heran? Langfristig könnte daraus ein Gegenstück werden. Doch im Moment besteht für die Kasseler Weltkunstschau keine Gefahr auch deshalb nicht, weil selbst die Berliner Kunstszene die Biennale noch nicht als Großereignis wahrgenommen hat. Die internationale Schau, an der 56 Künstlerinnen und Künstler beteiligt sind, wirkt wie ein alternatives Randereignis zum normalen Kulturangebot. Umgekehrt wird in der Auseinandersetzung mit der Biennale verständlich, warum die documenta unabhängig von allen inhaltlichen Qualitäten in Kassel zur Institution werden konnte: Weil sie für die Stadt das absolute Zentrum bedeutet, auf das über Monate und Jahre hingearbeitet wird. Aber auch sonst zielt die documenta in andere Dimensionen. Während in Berlin gerade drei Millionen Mark zur Verfügung standen, wird in Kassel mit einem Etat von über 20 Millionen Mark gerechnet. Schon die erste documenta gewann dadurch, dass sie durch die Aktivierung der Räume die Wirkung der Werke verstärkte. Heute gehört zu jeder Großausstellung die Eroberung neuer, unverbrauchter Räume. Auch die zweite Berlin Biennale lebt vom Charme der Raumsituationen. Das gilt vor allem für den Hauptstandort, das ehemalige Postfuhramt, das viele kleine Räume, eine Rotunde und einen regelrechten Kuppelsaal bietet. Sowohl die Rotunde als auch der Kuppelsaal werden hervorragend bespielt. In der Rotunde (auf der Eingangsebene) hat Patricia Piccinini zwei sich ergänzende Arbeiten kombiniert, die Alltagssituationen ins Spielerische übertragen: Das Zentrum bilden zwei knallbunte, sehr körperhaft wirkende Miniaturlastwagen. Die etwas zu groß geratenen Spielzeugautos werden ergänzt durch die Videos, die rundum auf fünf Monitoren zu sehen sind und in denen junge Frauen Weisheiten zum Lkw-Verkehr von sich geben. Eine Etage höher erlebt man in der Kuppel eine zeichenhafte Video-Projektion von Ayse Erkmen. Diese Bilderfolge ergänzt hervorragend den darunter platzieren Holzpavillon von Alicia Framis, der mehr ist als ein Stück schöner Architektur. Das filigrane Bauwerk steht für das kulturelle Selbstverständnis der islamischen Welt, in der für die Frauen Schutzräume geschaffen werden. Eine ganze Reihe von Arbeiten zielt auf die Auseinandersetzung mit anderen Kulturen ab. Aber nicht überall geschieht das so überzeugend wie bei den genannten Arbeiten. Tsuyoshi Ozawas Manga Café, in dem man auf Kissen ruhen, sich Comics ansehen und Getränke servieren lassen kann, ist einer der Beiträge, bei denen man sich fragt, ob es für Ausstellungen wirklich ein Qualitätsmerkmal sei, dass ein wichtiger Teil der Arbeiten eigens für die Ausstellung konzipiert wurde. Die spontane, ortsbezogene Installation ist eben nicht unbedingt besser als die im Atelier gewachsene Arbeit. Das traditionelle Bild hat die Berlin Biennale verabschiedet. Qiu Shihuas nur minimal mit Schattierungen versehene Leinwände dokumentieren überdeutlich das Verschwinden der Malerei. Video-Projektionen und Installationen sind an die Stelle getreten. Doch gerade die Installationen verdeutlichen, dass am Ende das Bild siegt, indem sich der Raumeindruck zur visuellen Einheit verdichtet.
HNA 21. 4. 2001