Ein Flugzeug auf dem Dach

Luftpaket, Narkose und Signalturm – Die ungewöhnlichsten Kunstprojekte aus der Geschichte der documenta

KASSEl. Die Ankündigung des chinesischen Künstlers Ai Weiwei, während der kommenden documenta 1001 seiner Landsleute nach Kassel zu holen und sie mit der Stadt und ihrer Weltkunstausstellung zu konfrontieren, sorgte für Überraschung und weckte Neugier. Sofort wurde aber auch gefragt, wodurch denn das Vorhaben zu einem Kunstbeitrag werde.
Die Antwort ist relativ einfach: Ausstellungen wie die documenta sind Ermöglichungsräume, in denen gesellschaftliche und ästhetische Experimente unternommen werden können, die außerhalb des Kunstbereichs kaum denkbar sind. Dabei muss das einzelne Projekt formal keinen Kunstcharakter haben. Dementsprechend gilt der Satz, den Werner Haftmann schon 1964 zur documenta III formulierte: „Kunst ist das, was bedeutende Künstler machen.“
Blickt man in die documenta-Geschichte zurück, stößt man auf zahlreiche ungewöhnliche Kunstprojekte, die oftmals von Teilen des Publikums gar nicht als Kunst wahrgenommen wurden:
Christos Luftpaket: Über Tage hielt Christo 1968 Kassel und die Kunstwelt in Atem: Schafft er es, über der Karlswiese sein „5600 Kubikmeter Paket“ zum Stehen zu bringen? Erstmals zog eine spektakuläre Aktion die Menschen in den Bann und nicht ein fertiges Werk.
Büro Beuys: Zur documenta 5 verzichtete Joseph Beuys darauf, eine Arbeit zu zeigen und diskutierte in seinem Büro 100 Tage lang mit den Besuchern. Fünf Jahre später schuf Beuys erneut ein Diskussionsforum und 1982 gar verließ er das Museum und startete seine Aktion „7000 Eichen“.
Narkose: Nur fünf Tage lang bot der Münchner Künstler Günter Saree zur documenta 5 ein Projekt zur „Verkürzung der bewussten Lebenszeit“ an: Ein Anästhesist sollte Besucher, die sich freiwillig gemeldet hatten, für zehn bis 20 Minuten eine Vollnarkose geben. Die Landesärztekammer untersagte aber dem Arzt die Mitwirkung. Damit war das Projekt beendet.
Starfighter auf dem Dach: Der Fluxus-Künstler Wolf Vostell wollte aus Protest gegen Hochrüstung und in Erinnerung an die zahllosen Abstürze 1977 einen Starfighter auf das Dach des Museums Fridericianum heben lassen. Doch er erhielt keine Genehmigung. Außerdem wollte er 100 Menschen gewinnen, die sich in Video-Porträts vorstellen sollten.
Erdkilometer: Die größte Empörung rief wohl das Projekt von Walter de Maria zur documenta 6 (1977) hervor. Wochenlang wurde ein Loch in den Friedrichsplatz gebohrt, in dem ein tausend Meter langer Messingstab versenkt wurde.
Signalturm der Hoffnung: Erst befehdet, dann geliebt: 100 Tage lang baute der Arzt Mo Edoga während der documenta 9 (1992) an seinem Signalturm der Hoffnung (aus Ästen und Bauholz).
Aktiengesellschaft: Zur Documenta 11 gründete die Künstlerin Maria Eichhorn eine Aktiengesellschaft mit einem Stammkapital von 50 000 Euro. Die Aktiengesellschaft entsprach allen rechtlichen Vorschriften. Für sie gab es nur eine widersinnige Bestimmung. Das Geld musste im Safe im Fridericianum bleiben und durfte nicht arbeiten.
HNA 31. 3. 2007

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