Hinwendung zum Politischen

Schönheit und Wirklichkeit verbinden – Zehnter Teil der Serie „Die documenta als Ort politischer Kunst”

In der letzten Folge unserer zehnteiligen Serie steht die documenta 12 im Mittelpunkt, die durch die Hinwendung zum Politischen gekennzeichnet ist.

Mit einer tiefen Verbeugung vor Arnold Bode und seiner ersten documenta stimmt Roger Buergel in der ersten Ausgabe seines Magazins auf die zwölfte documenta ein. Wie selbstverständlich behandelt Buergel dabei die Ausstellung des Jahres 1955 als eine politische.
Hätte man Bode gefragt, ob die documenta in den 50er-Jahren politisch gewesen sei, hätte er die Frage schroff zurückgewiesen. Denn ihm ging es allein Kunst des 20. Jahrhundert, um die Pioniere und Vollstrecker der Moderne. Damals waren rein künstlerische (ästhetische) Gründe für die Auswahl der Künstler und ihrer Werke ausschlaggebend. Doch der Rückzug ins Unpolitische, dadurch verstärkt, dass die Kunst von den Nationalsozialisten und Kommunisten vereinnahmt worden war, bewahrte die documenta nicht davor, zu einem politischen Manifest zu werden: Sie wurde als Forum der Kunstfreiheit und der in die Abstraktion führenden Moderne verstanden.
Trotzdem steht der behauptete politische Charakter für etwas ganz anderes als der Anspruch und das Selbstverständnis von Roger Buergel, der die documenta\x0f12 als politische Ausstellung sieht. Aus seiner und Ruth Noacks Sicht kann und darf sich heute eine Großausstellung wie die documenta nicht der Verantwortung gegenüber der Welt und unserer Wirklichkeit entziehen. Daraus folgt, dass die kommende documenta nicht solche Kunst präsentieren wird, die sich nur mit sich selbst und ihren formalen Fragen beschäftigt. Immer geht es bei der Auswahl um das Verhältnis zur Welt.
Allerdings wollen Roger M. Buergel und seine Frau Ruth Noack keine politischen Bekundungen präsentieren. Folglich werden sie weniger als Catherine David (1997) und Okwui Enwezor (2002) dokumentarische Kunst zeigen.
Sie interessiert vielmehr die Frage, wie die Künstler die an die Welt gerichteten Fragen ästhetisch reflektieren und vermitteln. Das heißt: Die Aussage wird für sie erst dann interessant, wenn sie auf dem Umweg über die künstlerische Verarbeitung um eine zusätzliche Erfahrungsebene erweitert wird. Schönheit (ästhetischer Reiz) und bittere Wirklichkeit sollen sich nicht ausschließen. Wir als Besucher können uns darauf einstellen, dass uns zuerst die künstlerischen Aspekte, die wechselnden Mittel und Formen, herausfordern werden. Erst danach kommt die inhaltliche Dimension in den Blick.
Als erster künstlerischer Leiter hat Buergel seine Vorgehensweise und damit auch seine Kriterien offengelegt: In Frageform formulierte er seine drei Leitmotive, die zum globalen Rahmen für die Diskussion zur Vorbereitung der documenta geworden sind: Ist die Moderne unsere Antike? Was ist das bloße Leben? Was tun?
Dabei hat die dritte Frage am direktesten mit der Kunst zu tun. Denn sie zielt auf die Verarbeitung von Informationen und Vermittlung durch die Künstler. Am politisch konkretesten erscheint die Frage nach dem bloßen Leben, da sie auf die menschliche Existenz und ihre Bedingungen gerichtet ist. Buergel denkt allerdings beim „bloßen Leben” nicht nur an Lebensbedrohungen, sondern auch nach den Möglichkeiten für hoffnungsvolle Anfänge. Die können sich auch dann ergeben, wenn wir die Moderne als vollendet oder gescheitert betrachten. Ende der Serie
HNA 4. 4. 2007

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