Ein Künstler schwimmt gegen den Strom

NEW YORK Erst im vorigen Jahr wurde der aus Köln stammende und New York lebende Künstler Hans Haacke in Deutschland richtig prominent. Da wurde nämlich ein wochenlanger Streit um seinen Beitrag zur künstlerischen Ausgestaltung des Berliner Reichstages geführt. Haacke schlug vor, in einem Innenhof des Reichstages einen riesigen Holztrog aufzustellen, in den jeder Bundestagsabgeordnete Erde aus seinem Wahlkreis schütten sollte. Im Gegensatz zu der Giebel-Inschrift Dem deutschen Volke sollte die Installation durch eine Neon-Schrift kenntlich gemacht – Der Bevölkerung gewidmet werden. Über das Projekt debattierte sogar der Bundestag und entschied knapp zu Gunsten von Haacke. Hans Haacke, der morgen 65 Jahre alt wird, sucht nicht die Provokation. Ihm geht es darum, Widersprüche und Missstände sichtbar zu machen. Er klagt nicht pathetisch an, sondern lässt die Bilder und Worte für sich selber sprechen. In der Verfolgung seiner Ziele aber bleibt er konsequent. Wenn er auf Widerstände stößt, gibt er nicht auf. Er schwimmt gegen den Strom. Haacke ist ein Künstler, der sichtbar macht und der es dabei versteht, die künstlerischen Gestaltungsmittel zu aktivieren und gleichzeitig zu parodieren. Die documenta X (1997) erinnerte daran, dass Haacke diesen Weg sehr früh eingeschlagen hat. Sie zeigte von ihm eine Text-Foto-Arbeit von 1971, in der er dokumentierte, wie ganze Häuserblocks in Manhattan Gegenstand von betrügerischen Immobiliengeschäften waren. Fünfzehn Jahre vorher hatte er unter anderem in der (sonst wenig politischen) documenta 7 seine Arbeit Der Pralinenmeister gezeigt. In ihr offenbarte er die Geschäftspraktiken des Schokoladenfabrikanten Peter Ludwig, der sich zu der Zeit als Kunstsammler, Mäzen und Museumsstifter feiern ließ. Den spektakulärsten documenta-Beitrag realisierte Haacke 1987. Da erinnerte er mit einer feierlichen Inszenierung daran, dass sich die Deutsche Bank und Daimler-Benz trotz der Boykott-Aufrufe mit dem damaligen Apartheid-Regime in Südafrika arrangiert hatten. Seine beste Arbeit schuf Haacke 1993 zur Biennale in Venedig: Er verwandelte den Boden des deutschen Pavillons, der in der Nazi-Zeit erbaut worden ist, unter dem Namen Germania in eine Trümmerlandschaft.
HNA 10. 8. 2001

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