Die Aneignung des Fremden

In der Serie „Wie die documenta 12 die Kunst präsentiert” stellen wir Werke einzelner oder mehrerer Künstler vor, um zu zeigen, wie die Arbeiten aufeinander bezogen sind.

Zu den Glanzpunkten der documenta IX (1992) gehörten die Beiträge in der Neuen Galerie: Dort hatten Künstler die Möglichkeit erhalten, mit ihren Werken die Sammlung des Hauses zu kommentieren. Die meisten taten dies auf eine provokative Weise – wie etwa Joseph Kosuth, der in zwei Gängen die Museumswerke unter schwarzen und weißen Tüchern mit bedruckten Texten verschwinden ließ.
Die documenta 12 sucht ebenfalls die Konfrontation zeitgenössischer Kunst mit musealen Bildern – dieses Mal in der Gemäldegalerie in Schloss Wilhelmshöhe. Allerdings geht es nicht um Provokation, sondern um inhaltliche Annäherung. Daraus ergeben sich äußerst gelungene Gegenüberstellungen.
Jeder Besucher des Rembrandt-Saales wird im ersten Moment dadurch aufgeschreckt, dass zwischen den Gemälden des 17. Jahrhunderts mit ihren gedämpften Weiß-, Gelb-, Braun- und Rottönen eine großformatige schwarz-weiße Fotomontage hängt. Das Bild der polnischen Künstlerin Zofia Kulik (Jahrgang 1947) parodiert das klassische Herscherinnen-Porträt, in dem die Person in dem üppig drapierten Kostüm verschwindet – so wie in den Darstellungen der englischen Königin Elisabeth I. (1533-1603).
In ihre Montagen fügt Zofia Kulik meist ihr eigenes Porträt ein. Was rundherum als feine Spitzen-Ornamentik erscheint, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als eine Folge männlicher Akte: Der Mann dekoriert das Kleid der Frau.
Im Saal nebenan stößt man auf vier kleine Porträts von Schwarzen. Sie stammen von Kerry James Marshall (Jahrgang 1955), der bereits vor zehn Jahren an der documenta beteiligt war. Marshall ist ein Künstler, der sich mit der Problematik der Afroamerikaner beschäftigt. Er zeigt sie als Fremde im eigenen Land. Das Bild einer schwarzen Frau etwa ist in Beziehung gesetzt zu den Klischee-Bildern von drei weißen Frauen.
Marshalls vier Porträts mit ihren Übermalungen hängen unter zwei Gemälden von Karel van Mander (1606-1670), die aus einem Zyklus zu den „Äthiopischen Geschichten” von Heliodor stammen. Speziell in dem linken Bild geht es um eine eigenwillige Spielart der Aneignung des Fremden und der Auseinandersetzung mit Schwarzen: Das äthiopische Königspaar Hydaspes und Persina betrachtet das Bild der weißen Andromeda. Diese intensive Beschäftigung mit dem Bild soll nach der Geschichte des Heliodor aus dem dritten Jahrhundert Ursache dafür gewesen sein, dass Persina eine Tochter mit weißer Hautfarbe gebar.
So stoßen zwei Weltsichten aufeinander, die aber im Kern verbunden sind: Die Sehnsucht der Schwarzen nach dem Weißen hat schicksalhafte Folgen.

HNA 22.5. 2007

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