Neue Malerei mit alten Wurzeln

Die künstlerischen Medien der documenta 12 – Die Malkunst wird in ihrer Vielfalt wiederentdeckt

John McCracken

Gerhard Richter

Monika Baer

Kassel. Zweimal, 1997 und 2002, machte die documenta Glauben, die Malerei als eine der ältesten Kunstformen überhaupt habe ausgedient. In beiden Ausstellungen lernte man nur wenige Beispiele der Malerei kennen. Dabei hatte es gerade um die Jahrtausendwende eine Wiederbelebung der Malkunst gegeben.

Für Roger Buergel ist die Malerei ein wichtiges und frisches Medium. Tatsächlich prägen die Gemälde das Bild der documenta 12 stark mit. Wir machen überraschende Entdeckungen und lernen Bilder kennen, die wir eigentlich längst schätzen müssten, weil sie 30 oder 40 Jahre alt sind und in ihrer Entstehungszeit pionierhaft waren. Das ist die wichtigste Leistung der documenta 12, dass sie uns zu den weniger bekannten Wurzeln heutiger Kunst führt. Der Malkunst haben wir einen der schönsten Räume in der Ausstellung zu verdanken – das Kabinett im Fridericianum, in dem die zwei grandiosen Gemälde von Lee Lozano und das kleine „Betty“-Porträt von Gerhard Richter hängen. Bei Lozanos Bildern von 1965 lässt sich studieren, wie aus der Farbe Form und Dynamik entstehen und sich zugleich Farbe im Licht auflöst. Gerhard Richters Gemälde von 1977 führt vor, wie das aus der Farbe gewonnene Porträt zum Schlüsselbild für eine gesellschaftliche Erschütterung (der vom Terrorismus geprägte deutsche Herbst von 1977) werden kann.

Damit wird deutlich, dass das heutige Gemälde vieles sein kann – eine auf die Gestaltung der Farbe konzentrierte Komposition oder Projektionsraum für kritisches Denken. Die Feministin Lozano beherrschte beides. Ihre frühen, wilden Bilder von 1962 lassen den Sex als Produkt der Maschinenwelt erscheinen.

Unter den Malern der documenta 12 nimmt John McCracken eine Sonderstellung ein, denn seine Arbeiten ziehen sich – ähnlich wie die von Kerry James Marshall und dem maßlos überschätzten Juan Davila – durch die gesamte Ausstellung. Dabei kann man studieren, wie McCracken von symbolisch-ornamentalen Kompositionen zu Farbskulpturen gelangte, deren Oberflächen so perfekt sind, dass sich die Objekte im Licht aufzulösen scheinen. Über welche Sogkraft die Gemälde verfügen können, zeigen exemplarisch die Gemälde von Monika Baer und Xie Nanxing, die aus dem freien Spiel der Farben leben und Anklänge an surreale Visionen (Baer) sowie Landschaften (Xie) enthalten.

Die documenta 12 präsentiert die gesamte Breite malerischer Möglichkeiten: Dierk Schmidt ersetzt das Bild durch aus Farben gestaltete Textelemente, um eine Lehrstunde zum Kolonialismus zu halten, Sonia Abian Rose zitiert altmeisterliche Formen zur Darstellung der Perversion in den Konzentrationslagern. Und Lu Hao stellt die Umwandlung der Welt anhand der Pekinger Chang’an-Straße dar. Der heutigen Malerei ist jedes Mittel recht, weil die Konzeptkunst ihre Basis ist. Die documenta führt das anschaulich vor.

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