Suche nach der richtigen Sprache

Die künstlerischen Medien der documenta 12: Video

Die britische Künstlerin Imogen Stidworthy hat für die documenta 12 eine Schlüsselarbeit entwickelt. Ihre im Fridericianum gezeigte Rauminstallation „I Hate“ (ich hasse) beschäftigt sich mit dem Fotografen Edward Woodman, der nach einem Unfall mühsam versucht, sein Sprachvermögen wiederzugewinnen.

In einer Video-Großprojektion sieht man, wie er mit seinem Mund, seinen Augen und seinen Händen Laute und Worte bildet und rauspresst. Man hört die Buchstaben als Klanggebilde und sieht die Wörter als plastische Formen entstehen.

Der sprachtherapeutische Akt wird zur Symbolhandlung für den Versuch, die Welt durch Sprache in den Griff zu bekommen. Das Video wird zu einem Mittel der Selbstvergewisserung und zu einem Mittler zwischen Bild und Klang.

Zu der Arbeit passt wunderbar der Beitrag von Maja Bajevic in der documenta-Halle, der demonstriert, wie der Ort für das richtige Wort gesucht werden muss.

Wir erleben das Video als eine Technik, mit deren Hilfe wir das Bild der Welt zusammensetzen können: Auf hervorragende Weise führt das der Inder Amar Kanwar in seiner Video-Installation in der Neuen Galerie vor, in der sich poetisch bezaubernde Bilder mit Dokumenten der Gewalt mischen. Die Gleichzeitigkeit des Widersprüchlichen wird zum Grundtenor.

Ebenfalls ein Mosaikbild hat Alejandra Riera vor Augen, die mit Videos, Fotografien und Texten eine Beschreibung der Welt versucht. Dass die Suche nach der richtigen Sprache im Konflikt enden kann, demonstriert Artur Zmijewski in seiner Video-Installation „Them“ im Schlachthof. Der polnische Künstler hatte extreme politische Gruppen in einem Atelier zusammengebracht und sich gegenseitig kommentieren lassen.

Die Videokunst wird auch, wie in der vorigen documenta, als erzählerisches Medium eingesetzt. Ein heiter-doppelbödiges Beispiel dafür ist die Video-Installation „Funk Staden“ von Dias & Riedweg in Schloss Wilhelmshöhe. Darin setzen sich Brasilianer mit Kannibalen-Geschichten des 1525 in Wolfhagen geborenen Weltreisenden Hans Staden auseinander. Locker erzählerisch ist auch Tseng Yu-Chins Video im Fridericianum, in dem eine Mutter mit ihrem Kind herumtollt. Stärker als Okwui Enwezor 2002 konzentrieren sich Roger Buergel und Ruth Noack auf analytisch-beschreibende Videos jenseits der Dokumentation.

Von den Besuchern wird dankbar aufgenommen, dass es deutlich weniger dunkle Videokammern gibt und manches Kurzweilige wie Lin Ylins subversiver Video-Dokumentation von der Wanderung einer Mauer über die Straße (Fridericianum) fast im Vorübergehen angesehen werden kann.

In einem Fall aber erreicht eine Film-/Video-Arbeit eine neue Qualität: James Colemans großartige Inszenierung mit dem Schauspieler Harvey Keitel in einem dunklen Saal in der Neuen Galerie ist keine Projektion mehr. Hier wird der Raum zur großen Bühne und der Film zum Theater.

HNA 27. 8. 2007

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