Der Nagelkünstler als Maler

Monumentale Ausstellungen entstehen nicht automatisch dort, wo die Räume hoch und weit und die Werke groß sind. Entscheidender ist die den Arbeiten innewohnende Kraft, die sich auch oder gerade in bescheideneren Räumen entfalten kann.

Ein Beispiel dafür bildet die Ausstellung von Günther Uecker, die im Alten Rathaus in Göttingen zu sehen ist: Der in Düsseldorf lebende und lehrende Künstler hatte sich durch die spontane Zusammenarbeit der Stadt Göttingen mit einer Hamburger Galeristin dazu gewinnen lassen, eine Werkschau einzurichten, die sein 3S-jähriges Schaffen spiegelt.

Zu diesem Zweck gab Uecker auch selten gezeigte Lieblingsstücke aus seiner Frühzeit frei. Auf diese Weise wurde die Ausstellung nicht bloß zu einer Retrospektive. sondern zu einem Kraftzentrum, das dem Künstler Uecker eine neue Position zuweist. Günther Uecker (61) ist als Nagelkünstler berühmt geworden; mit in Holztafeln, Scheiben und Stelen hineingetriebenen Nägeln hat er plastische Licht- und Schattenspiele entwickelt und Sinnbilder für Gewalt und Durchdringung gefunden. Auch in Göttingen sind wichtige Nagelbilder und -objekte zu finden. Gleich in der Eingangshalle des Rathauses wird man von der rotierenden und beleuchteten .Lichtscheibe“ (1961) angezogen, die genau für das Denken und Arbeiten der Künstlergruppe „Zero“ steht, die Ende der 5Oer-Jahre antrat, um die
darstellende Malerei auf Null zurückzuführen und sich ausschließlich der Farbe und dem Licht zu widmen.

Das ist die prominente Seite. In Göttingen wird diese aber relativiert. Plötzlich spannt sich ein Bogen von den Bildern der späten 5Oer-Jahre hin zu den Werken der jüngsten Zeit – sozusagen über den Nagelkünstler hinweg: Uecker tritt als ein Maler auf, der gerade mit seinem über 30 Jahre alten Werk vieles von dem in den Schatten stellt, was heute als konkrete und monochrome Malerei von sich reden macht.

Diese weißen, schwarzen, grauen, roten und,gelben Bilder mit ihren glatten Oberflächen bzw. ihren strengen horizontalen oder vertikalen Strukturen erscheinen heute so, als habe Uecker die Möglichkeiten der von allen erzählerischen und gestischen Elementen befreiten Malerei systematisch erforscht. Am Ende waren die Formen der Farbe erkundet.

In den letzten Jahren ist bei Uecker dieser malerische Im
lmpuls erneut stärker geworden. Nun enstanden aber im Dialog mit den genagelten und mit Steinen durchstoßenen Bildern gestische und äußerst spontan wirkende Kompositionen. In ihnen scheinen Landschaften auf und gelegentlich menschliche Figuren. Die Malerei hat bei Uecker – wie sein jüngstes Werk überhaupt – eine stärker existentielle Dimension gewonnen. Der Künstler scheut nicht
mehr die Erzählung, die bildnerische Frage nach Leben, Bedrohung und Tod. „Aufstand“ ~ heißt ein mit Hochlandgras-Bür scheIn behangenes Bild von
~ 1990. Im selben Jahr schuf
Uecker das Großformat „Wer wirft den ersten Stein“, in das Steinkeile hineingetrieben sind und auf dem über einer grafisch-gestischen Malerei Federn hängen.
Die Ausstellung ist weit über Göttingen hinaus ein EreiQnis. .

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