Die Lust an der Pointe

Es ist kein unwesentlicher Ableger, den die Düsseldorfer Kunstakademie in Münster unterhält. Da Münster aber weit vom Schuß liegt und dort „nur“ Kunsterzieher ausgebildet werden, gerät er leicht in Vergessenheit. So vollzieht sich die künstlerisch-praktische Arbeit der dortigen Professoren und Studenten weitgehend im Schatten.

Daher ist es verdienstvoll, daß die Reihe ,,Akademiestudenten im Kunstmuseum“ nun auch Klassen aus Münster einbezieht. Den Anfang macht die Klasse von Timm Ulrichs, die in einer Wochenendausstellung in der Orangeriestraße 6, ihre jüngsten Arbeiten vorstellt. Die Vorstellung lohnt sich; die Arbeitsergebnisse behaupten sich souverän neben denen angesehener Düsseldorfer Klassen.

Timm Ulrichs, einer der ideen- und geistreichsten deutschen Künstler, ein Aphoristiker, der Wortwitz wie kein anderer in Bildwitz umzuwandeln vermag, dieser Timm Ulrichs bietet die beste Gewähr für die Entfaltung der Talente. Die Ausstellung läßt erkennen, daß – wie es in anderen Klassen auch zu beobachten ist – der Künstler-Lehrer eher Haltungen und Denkweisen vermittelt als stilistische Anregungen. Die Lust an der Pointe und an der Ironie sowie die Liebe zum Zitat und zur bildlichen Ausformung erzählerischer Inhalte werden zu durchgängigen Elementen in den Studenten-Arbeiten. Dabei ist es nicht wesentlich, ob nun gemalt, gezeichnet, fotografiert, konstruiert oder plastisch geformt wird.

Unmittelbar auf UlrichsSpuren wandelt Iris Scheffler, die auf einer fortlaufenden Linie in sieben Phasen ein gleichschenkliges Holzkreuz zu einem Quadrat werden läßt, wobei in allen Stationen dieser Bodenarbeit die verwendete Holzmenge gleichbleibt. Der Umgang mit Maß und Proportion wird bei Michael Witlatschil zu einem atemberaubenden Erlebnis: Witlatschil baut aus lose ineinander gesteckten Stahlstäben scharfwinklige Plastiken auf einer Glasfläche, die jeweils nur durch das Ausloten der richtigen Proportionalität sich frei im Gleichgewicht halten. Der Aufbau einer plastisohen Figur wird hier als spannendes Abenteuer vorgeführt.

Ähnlich faszinierendes bietet Burkhard Zimmer, der gezeichnete Graphitlinien als elektrische Leiter benutzt. Die unterschiedlich breit oder lang geschriebenen. Wörter beziehungsweise die Punkte auf einer Liriie werden durch die Einbeziehung in elektronische Schaltungen zum Verstärker oder Dämpfer akustischer Signale. Solide handwerkliche Arbeit und pointenreiche Gedanken verbinden sich in den Beiträgen von Andreas Peschka, der etwa dem Schnitt durch eine Miniatur-Berg-TalLandschaft (aus Holz und Stahl) eine richtige Leiter hinzugibt, mit deren Hilfe, die darauf drapierte Burg zu erklimmen ist. Jutta Neuhaus überspringt ähnlich behend die verschiedenen Grenzen zwischen Wirklichkeit und Fiktion in ihrem Bild-Objekt „Trau keinem Vogel, bevor er nicht singt“; dem gemalten Vogel ist ein Blindenstock beigegeben; der wiederum durch einen
realen weißen Stock ergänzt wird.

Aufgrund der Formate und der grellen Farben drängen sich die malenden Ulrichs-Schüler deutlich in den Vordergrund. Die verschiedenen Auseinandersetzungen mit dem Realismus (Anne Frechen, Günter Untiet, Gerhard Vehling und Dirk Wollenhaupt) nutzen die handgreifliche Bildwelt eher zitierend und damit diastanzierend. In mehreren Fällen verweisen die Bilder mit ihren vordergründigen Motiven in Wirklichkeit in die Innenwelt.

Es ist eine selten heitere Ausstellung geworden, die selbst dort noch mit Überraschungen aufwartet, wo man sich der reinen, meditativen Farbausbreitung gegenübersieht: Monika Bauers blaues Bild, das zur Mitte hin an Farbintensität gewinnt, ist, um ihm seine Leichtigkeit und Duftigkeit zu bewahren, mit zwei Wäscheklammern an einer Leine lose aufgehängt worden.

RP 8. 5. 1981

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