Auf großer Fahrt ins Abenteuerland

Albert Schindehütte schuf für die Wilhelm-Filchner-Schule in Wolfhagen einen Riesenholzschnitt

Schindehütte 2
Schindehütte 1
Schindehütte 3

Die wilden Zeiten begannen vor dem Aufstand der 68er-Generation. Man schrieb das Jahr 1963, als junge Künstler in einem Berliner Hinterhof eine Werkstatt eröffneten, deren Schöpfungen als „Rixdorfer Drucke“ Geschichte machten. Die Künstler waren Bürgerschreck und Ästheten zugleich. Sie gingen mit frechem Witz gegen die Verkrustungen der Gesellschaft an und sie belebten die Druckgrafik neu und schärften dabei den Sinn für das handgemachte Buch. Albert Schindehütte war neben Uwe Bremer und Arno Waldschmidt einer von ihnen.

Schindehütte blieb dem Geist der Gruppe treu, auch wenn der St. Pauli-Fan heute in Hamburg und zeitweise in seinem Geburtstort Breitenbach (Schauenburg, Landkreis Kassel) wohnt. Der beste Beweis dafür ist die 1997 von ihm begründete Schauenburger Märchenwache, die einen Bogen schlägt von den Märchen der Brüdern Grimm sowie den Märchenbeiträgern Johann Friedrich Krause und Marie Hassenpflug bis zur Kunst der zeitgenössischen Illustration. Die Märchenwache ist vieles in einem – Kulturzentrum, Grimm-Gedenkstätte, Galerie und ein kleines Schindehütte-Museum.

Nun hat Schindehütte seiner Heimatregion ein weiteres Geschenk gemacht. Er fand heraus, dass das benachbarte Wolfhagen mit dem Schicksal von zwei Abenteurern verbunden ist. Der eine war der Landsknecht Hans Staden, der im 16. Jahrhundert in Brasilien unter eingeborene Menschenfresser fiel, aber lebend entkam und vor seinem Tod (wahrscheinlich in Wolfhagen) genügend Zeit fand, eine „Wahrhaftige Historia“ über seine Erlebnisse zu schreiben. Der andere ist der Entdeckungsreisende Wilhelm Filchner (1877-1957), nach dem die Gesamtschule Wolfhagen benannt ist. Gemeinsam mit der Schule entwickelte Schindehütte den Plan für einen Kunst-am-Bau-Beitrag, in dem unter dem Titel „…zu neuen GeStaden“ das Andenken an die beiden Forschungsreisenden vereint wird. Als einer der vielleicht weltweit größten Holzschnitte (334 x 193 cm) entstand das figurenreiche Bild einer großen Fahrt, die im Aufbruchchaos zu scheitern droht. Vor einem weißen Hintergrund blickt man auf große schwarze Flächen, in denen klare weiße Linien die neben-, mit- und gegeneinander wirkenden Fabelwesen umreißen. Fische, Vögel, Vogelmenschen und ein Steckenpferd bilden eine illustre Gesellschaft.

Der Holzschnitt wird gern als ein expressives Medium verstanden, in dessen Lineaturen die Handschrift des Holzschneiders spürbar wird. Dieser Einordnung entzieht sich Schindehüttes Holzschnitt: Er arbeitet ruhig und besonnen, fast verhalten. Er lässt große Flächen als schwarze Kraftfelder stehen, in denen Augen, Münder, Schnäbel und die Umrisse der Boote und Figuren ganz zart und geradlinig umrissen werden. Gäbe es nicht im unteren Teil die Linienstrukturen, die die Meeresfläche andeuten, wäre kein Raum angedeutet. Die übereinander gelegten Figuren bleiben also in gespielter Naivität flächig. Der Holzschnitt erzählt eine ganz eigene Geschichte, die das Wirkliche als phantastisch erscheinen lässt. Ein neues Märchen ist entstanden.

Den Abzug stellte Schindehütte mit Hilfe der Lehrer und einiger Schüler her. Die Schüler durften anschließend von dem großen Druckstock kleine Detailabzüge herstellen. Weil Schindehütte den Druckstock und den Abzug, die in der Schule angefertigt wurden, nebeneinander installieren ließ, gewann die Schule eine zweiteilige, monumentale Wandarbeit. Ergänzt wird sie durch massive Bildständer, die auf dem Pausenhof unter der Magistrale stehen, in denen Detaildrucke zu sehen sind. Die Schule wird so zum Bindeglied zwischen dem Wolfhager Museum, das die Erinnerung an Hans Staden pflegt, und Schindehüttes Märchenwache in Breitenbach.

Zu der Arbeit in der Wilhelm-Filchner-Schule brachte Albert Schindehütte eine elfteilige Mappe heraus, die die Entstehung des Riesenholzschnittes dokumentiert. Eine zweite Mappe produzierte der Künstler für das Internationale Maritime Museum Hamburg, das dank der Reederei MACS ebenfalls einen Handabzug des Holzschnitts erhielt.

Juli 2008

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