Die Sprache der Dinge

Ausstellung Rolf Escher – Alfelder Zeitung

1) Rolf Escher ist ein Künstler des Stillebens. In diese Stilleben kommt aber immer wieder Bewegung. Die Dinge werden lebendig.
2) Zu sehen ist nur ein Ausschnitt aus einem gewaltigen Werk. Es gibt von Escher auch Zeichnungen und Grafiken mit Menschen und in jüngster Zeit voller Dynamik.
3) Rolf Escher findet die Motive im Atelier und auf Studienreisen. Die Themen trägt er in sich und die Staffage für die Bilder hat er im Gepäck. Beispiel: „Wiener Fenster“ (Lithographie, 1992/93): Von der Stadt nun eine Ahnung, aber fest und klar im Vordergrund: Waschschüssel, Spiegel und Glas mit Löffel.
4) Das „Wiener Fenster“ führt zwei Wesensmerkmale von Eschers Kunst vor: Die Bilder entstehen aus dem Licht, die Sonne nimmt im Mittelgrund den Gebäuden die Konturen. Außerdem geht Escher fast unmerklich von der festen, ausgeführten Form (Fensterrahmen und -brett) zum Skizzenhaften über.
5) Escher umkreist Themen, nimmt sie in immer neuen Konstellationen auf – Fassaden und Treppenhäuser, Kommoden, Spiegel und Koffer, Stühle, Fenster und Raumecken, Krebse, Gläser und Zeitungen.
6) Es ist nicht nur eine Verbeugung vor dem Ausstellungsort, daß man hier mehrere Blätter mit Zeitungen als Motiv findet. Rund zwei Dutzend solcher Arbeiten sind publiziert.
7) Die Zeitung als Grundbestandteil des Lebens; sie gehört dazu, auch und gerade im Cafe´ oder auf Reisen. Hier nun im Zentrum die Lithographie „Zeitungsständer“. Der Reiz des doppelten Karussells – die Haken, das Licht auf den Zeitungen, das Bild im Bild.
8) Einladung zum Lesen, aber wer liest? Leerer Raum, doch rechts an der Wand eine Jacke. Die Spuren des Menschen, die Dinge sprechen für ihn. Außerdem: Ein winziger Ausschnitt, doch Blick in zwei Räume – geschwungene Treppe und Gastraum. Die Dominanz von Kreis und Bogen – und von Haken.
9) „Tisch mit Krebsen“. Eine Duellsituation. Die Krebse haben sich die Rücken zugewendet. Hier beginnt die (humoristische) Erzählung: Lauern die Krebse auf die Menschen oder fallen sie gleich übereinander her? Und dann die Zeitungen – als Sets. Waren die Krebse darin eingepackt. Martialische Wendung durch Teller und Messer und Gabel.
10) „Tisch mit Scampis“: Eine Mahlzeit auf dem Teller – mit Gabel, Löffel (?) und Glas. Der Teller halb auf der Zeitung – die hat jemand beim Essen gelesen. Eine ganz andere Geschichte. Hier dominiert das Licht: Fast die Hälfte des Blattes ist ungestaltet – vom Licht überstrahlt.
11) „Kiosk in Padua“: Liebenswerte Architektur der Jahrhundertwende. Kiosk voller Zeitungen – nur grob skizziert, fast naiv. Die Fülle fließt über. Die Blätter fließen weg, als würde der Platz überschwemmt. Kein Stilleben, sondern phantastische Bewegung. Die Radierung hat sich weit vom Anlaß entfernt.
12) „Alterndes Paar“ – wieder ein Stilleben. Zwei Aktentaschen sind gemeinsam alt geworden, in Liebe gealtert, gleichnishaft. Die Dinge als Menschen. In der geöffneten Tasche Zeitungen – als Dokumente von Information und Bildung.
13) Rolf Escher sucht die in Würde gealterte Form, die den Atem der Vergangenheit spüren läßt. Er macht sie fühlbar und kostbar, ohne sie zu veredeln. Aber sie ist und bleibt Kulisse für Inszenierungen und Erzählungen. Die Zeugen der Wirklichkeit müssen Geschichten ermöglichen. Die Koffer helfen mit – „Vor einer Abreise“ (Treppenhaus) und „Endstation in Wien“. Der verschwundene Mensch läßt ein Schicksal erahnen.

Mai 1998

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