Malerei und Skulptur

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Ausstellung Mehmet Güler – 5. September 2003

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

wir erleben eine Premiere. Zum ersten Mal hat der Grafiker und Maler Mehmet Güler in einer Ausstellung zwischen seine Bilder Skulpturen gestellt. Güler hat schon länger an diesen Holzskulpturen gearbeitet. Diejenigen unter Ihnen, die in den letzten zwei Jahren die Möglichkeit hatten, einen Blick in sein neues, größeres Atelier zu werfen, haben auch schon die eine oder andere plastische Arbeit gesehen. Mit seiner Entscheidung jedoch, die Skulpturen in diese Galerie-Ausstellung aufzunehmen, hat er das Experimentierstadium für beendet erklärt. Nun stehen sie gleichgewichtig neben den Bildern.

Vielleicht waren Sie im ersten Moment ebenso überrascht wie ich. Gülers Malerei der letzten Jahre deutete nicht auf diese Entwicklung hin. Im Gegenteil: Die farbintensiven Ölbilder sind immer freier und abstrakter geworden. Mit geübtem Auge kann man zwar schnell feststellen, dass auch in diesen auf die Ferne abstrakt wirkenden Gemälden Gülers Grundthema, die einheimischen und die fremden Frauen in der Hitze, nicht aufgehoben ist, aber diese Figuren sind oft nur durch einzelne Linien oder Farbspuren angedeutet. Fast alle Frauenkörper, die Güler in den vergangenen zehn Jahren gemalt hat, tauchen in den Farbmassen auf und verschwinden wieder in ihnen. Das heißt: In aller Regel sind die Figuren flächig angelegt. Nichts spricht für eine plastische Form, die sich herauslösen und zur Skulptur verselbständigen könnte.

Trotzdem kommen die Skulpturen nicht aus einer völlig anderen Welt. In dem einen oder anderen Gemälde können Sie eine Gestalt entdecken, die die gleiche Form vorgibt, die Sie unter den Holzskulpturen wiederfinden. Noch besser kommt man aber voran, wenn man sich Gülers früheren Arbeiten zuwendet, von denen einige in dem Grafikständer zu sehen sind. Da treten aus den Kompositionen plastisch jene dunklen Frauengestalten hervor, deren in die Ferne oder leicht nach oben gewandtes Kopfprofil eine Mischung aus Stolz, Härte und manchmal auch Arroganz ergibt. Diese Gestalten wirken wie Statuen; und so weisen sie den Weg zu den Skulpturen, ohne allerdings deren Expressivität und Rohheit vorwegzunehmen.

Noch ein anderes Element tritt hinzu: Der Maler Mehmet Güler hat frühzeitig seine Liebe zum Holz und dessen Sprache kultiviert, indem er großformatige Holzschnitte schuf. Während viele andere Holzschnittkünstler nur auf die Sprache der herausgeholten Formen setzen, nutzt Güler den Holzschnitt so, dass er die Hintergrundfläche etwa als gewaltigen Himmel stehen und somit die Maserung für sich selbst sprechen lässt. In Gülers Holzschnitten wird der Blick immer wieder auf das Ursprungsmaterial gelenkt.

Damit ergibt sich eine natürliche Brücke, die die Holzschnitte älterer Art und die Skulpturen verbindet. Denn auch in diesen plastischen Stücken bleibt deren Ursprung immer klar erkennbar. Güler schneidet die Figuren zwar mit der Motorsäge aus dem Buchen- oder Kirschbaumholz heraus, aber immer lässt er die Ausgangsform, den sich verzweigenden Stamm oder Ast, unberührt. Manchmal lässt er sogar die Rinde am Baum unangetastet, um die Moose und Pilze, die sich auf dem Holz angesiedelt haben, für seine Arbeit nutzbar zu machen.

Mehmet Güler ist in seiner Malerei zunehmend gestischer und expressiver geworden. Wenn Sie ein Bild studieren, in dem Rot-, Weiß-, Gelb- und Orange-Töne vorherrschen, dann werden Sie feststellen, dass dazwischen auch kräftige Spuren von Blau und Grün zu finden sind. Güler baut die Bilder vielfarbig auf, übermalt kraftvoll und deckt die darunter oder dazwischen liegenden Farben nie voll zu.

Eine ähnlich expressive Gestaltungskraft prägt die Skulpturen. Die grobe Sprache der Säge reicht Güler nicht. Er setzt seine Skulpturen größeren Spannungen aus: Bewusst wählt er Baumstämme, die frisch geschlagen und noch feucht sind. Sie lassen sich zwar leichter als das harte trockne Holz bearbeiten, aber ihre Eigenart ist, dass sie eigenständig weiter arbeiten – das Holz bekommt beim Trocknen Risse und spaltet sich. So wirken vereinzelt die Skulpturen, als wären sie verletzt. Gesteigert wird der Eindruck durch die rote Farbe, die Güler im Kontrast zu der schwarzen Bemalung aufgetragen hat, durch die Gaze, mit der er die eine oder andere Figur umwickelt hat oder durch die Tatsache, dass einmal statt eines Fußes nur ein Stumpf zu sehen ist, und ein anderes Mal, Beine und Füße wie verdreht wirken.

Welche Schicksale oder Leiden werden hier gespiegelt? Mehmet Güler kann solche Fragen nicht verhindern, aber seine Arbeiten hat er nicht im Sinne einer Anklage gestaltet. Ihm geht es um etwas anderes: Er projiziert auf die Stämme figürliche Vorstellungen, er führt vor, welche plastischen Möglichkeiten in ihnen stecken, er lässt ihnen aber ihre Natur. Deshalb stückelt er dort keinen Fuß an, wo der Stamm gerade endet. Und das blutige Rot soll auch nicht von Wunden berichten, sondern vom Leben zeugen. In der Beziehung ist Güler ein richtiger Expressionist – für ihn ist die Farbe ein Ausdrucksmittel für Stimmungen und Zustände. Rot, Gelb, Blau und Grün – das sind für ihn Farben der Natur, die von Wärme und Leben, von Hitze und Trockenheit, von Wasser und Wachstum und von Sehnsucht und Einsamkeit erzählen. Die Farben in den Bildern sind daher wie die Elemente, die miteinander ringen.

Die Holzskulpturen von Mehmet Güler wollen den Grenzraum zwischen Natur und Skulptur nicht verlassen. Sie bleiben originär in der Natur gewachsene Formen, und sie weisen doch klar auch die menschliche Gestalt. Auch wenn wie hier zwei Figuren nahe beieinander stehen, ergibt sich kein Bezug zischen ihnen. Wie hundertfach in den Gemälden und den Radierungen vorgeführt, bleiben auch diese Gestalten isoliert und auf sich selbst bezogen. Die überlebensgroßen Skulpturen fordern zur Auseinandersetzung heraus. Sie sind kraftvoll, scheinen zugleich aber auch hilflos. Sie zeugen von einer unbändigen Gestaltungslust.

Über der Arbeit an den Skulpturen hat Güler aber, wie Sie an den Signaturen der Gemälde sehen können, die Malerei nicht vergessen. Seine Malweise ist noch direkter und spontaner geworden. Die Komposition steht, wie er selbst stolz vermerkt, selbst wenn sich in den Vordergrund eine Farbspur drängt, die eigentlich mit dem Umfeld nichts zu tun hat. Auch ist es reizvoll zu studieren, wie Güler nur durch eine leichte Farbnuancierung einer Gestalt Fläche und Konturen gibt. Daneben gibt es Bilder, die erst durch das Kratzen oder Zeichnen in die Farbe ihre Figurenvielfalt gewinnen.

Immer wieder aber überrascht, welche fantastischen Harmonien aus dem Chaos der Farben entstehen. Das leuchtende Blau und die glühenden Rot-Gelb-Töne sind Farbklänge, die sich ganz unmittelbar mit dem Namen und Werk von Güler verbinden. Nun treten zeichenhaft die Skulpturen zwischen sie und geben neue Rätsel auf. Zwischen beiden Ebenen entwickelt sich eine fruchtbare Spannung.

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