Christoph Büchel verwandelt den Kasseler Friedrichsplatz in ein Bild
Der Friedrichsplatz, einst einer der größten deutschen Stadtplätze, war in früheren Jahrzehnten und Jahrhunderten Paradefeld und Aufmarschraum. Spätestens seit der documenta 5 (1972) ist er Aktionsraum der zeitgenössischen Kunst. Auf dem Friedrichsplatz trifft sich das internationale Kunstpublikum und stellt sich zur Schau. Hier haben Selbstdarsteller ihren Ort und finden Performances statt. Über ihn winden sich an den Tagen großen Ansturms die Besucherschlangen und auf ihm werden Skulpturen und Außenkunstwerke installiert.
Rudi Fuchs war 1982 der erste documenta-Leiter, der versuchte, dem Platz insgesamt eine Form zu geben. Daniel Buren wollte den Platz mit Fahnenstangen und Fähnchengirlanden einfassen und ihm mit den Wimpeln und Musik eine heitere Note verleihen. Doch die geschlossene Form misslang. Zu stark war die eigengesetzliche Wirkung des Keils aus 7000 Basaltsäulen, die Joseph Beuys für seine Aktion „7000 Eichen“ hatte anfahren lassen.
Erst 2007 gelang es zur documenta 12 erstmals, den Friedrichsplatz zwischen der Frankfurter Straße und den Stufen zur Königsstraße in ein in sich stimmiges Bild zu verwandeln, das über die ganze Laufzeit der Ausstellung unangetastet blieb: Sanja Ivecovic ließ da, wo sonst Rasen wächst, Mohnsamen keimen, so dass sich ab Mitte Juli der Platz rot und grün einfärbte. Der Mohn, eine Pflanze, die für Schönheit ebenso steht wie für Vergänglichkeit und Revolution, wurde zu einem der am meisten fotografierten documenta-Projekte. In der Hochzeit der Blüte wurde die Wirkung noch dadurch gesteigert, dass zwei mal am Tag aus Lautsprechern revolutionäre Gesänge zu hören waren. In dieses Bild fügte sich vorzüglich eine andere Arbeit ein – das Karussell, das Andreas Siekmann rund um das Denkmal von Landgraf Friedrich II. sich drehen ließ, um den Blick auf die Randgruppen und Konflikte der Gesellschaft zu lenken.
Gewiss ließ sich Christoph Büchel durch diese documenta-Arbeit ermutigen, ebenfalls mit dem Platz zu arbeiten. Was er anlässlich seiner Ausstellung „Deutsche Grammatik“ in der Kunsthalle Fridericianum aus dem Platz gemacht hat, steht in direkter Konkurrenz zu dem, was Sanja Ivecovic vor einem Jahr schuf. Der Friedrichsplatz ist zu einem geschlossenen Bild geworden. Dabei kann Büchel anlässlich seiner Einzelausstellung noch einen Schritt weiter gehen und einen fließenden Übergang vom Platz zum Fridericianum gestalten.
Die Ausstellung „Deutsche Grammatik“ buchstabiert uns in ihren Teilen vor, was ein unbarmherzige Analytiker wie Büchel als Elemente des deutschen Wesens sieht. Auf der städtischen Ebene gehören die Billig-Läden wie Mäc-Geiz, die Spielothek, das Sonnenstudio und die Shopping-Mall mit sich drehendem Weihbaum ebenso dazu wie die gemütliche Kneipe und die ordentliche Hausmeisterwohnung mit den Schäferhund-Bildern. Die Leuchtreklamen von Mäc-Geiz, der Spielothek und der Hessenklause an der Fassade des Fridericianums schaffen den Übergang von außen nach innen ebenso wie die Fahrradständer des Billigladens oder der neben dem Eingang abgestellte Polizeiwagen, der die Aufmerksamkeit auf die Risiko-Potenziale der Ausstellung lenkt. Zu haben im Fridericianum ist so gut wie alles, nur für Kunst und Kultur ist kein Platz mehr: Die Museumsräume sind geplündert, und, wie die zugenagelten Fenster in dem einen Erdgeschossflügel und das Bauschild draußen verkünden, zukünftig wird es für die Kunst keinen Platz mehr geben.
Aber zum Deutschlandbild gehören nicht nur die städtischen Attraktionen, sondern auch der ländliche Raum. Ihm hat Büchel auf dem Friedrichsplatz mit geradezu traumwandlerischer Sicherheit ein Denkmal gesetzt. Die Rasenflächen haben sich in frisch gepflügte Äcker verwandelt. Es ist Herbst, deutscher Herbst. Drüben, jenseits der Straße liegen die in weiße Folien eingewickelten Heuballen, hier, vor dem Fridrericianum, kündigt sich der herannahende Winter an. Da liegt die obligatorische, weiß emaillierte Badewanne, aus der das Vieh während der Weidezeit trinkt, dort sind der Traktor und der Güllewagen abgestellt. Sie wirken genau so abgestellt und verloren, wie sie mancherorts auf dem Lande zu sehen sind. Die paar Dinge genügen, um die Melancholie der verlassenen Felder zu beschwören. Dazwischen, überragend wie ein Denkmal, ein gewaltiges Silo, das ja auch in Wahrheit ein Denkmal verhüllt.
Christoph Büchel schließt mit diesem Bild in faszinierender Weise an das documenta-Bild vom Friedrichsplatz an. Und ob man will oder nicht, muss man bei dem runden Siloturm an das Karussell von Siekmann denken, das auf andere Weise des Denkmal des Landgrafen umschloss.
Aber auch das gehört zur deutschen Gesichichte, dass beim Pflügen Blindgänger aus dem Krieg aus dem Boden geholt werden. Indem Büchel eine solche Bombe in seine Ackerlandschaft einbezog, erinnerte er an das Bombenschicksal der Stadt, die bis heute ein Zentrum der Rüstungsindustrie geblieben ist. Aber es gibt auch neues Leben, wie die kleine Tannenschonung neben den Beuys-Bäumen verheißt. Das Vertrackte nur ist, dass die jungen Tannen keineswegs so unschuldig und natürlich sind, wie sie erscheinen. Jede einzelne von ihnen ist, wie jeweils ein Schild verkündet, einer der Parteien gewidmet, die sich drinnen in der Parteienmesse „politica“ präsentieren soll(t)en. So schließt sich der Bogen vom Land zur Stadt.
Siehe auch: Die Wirklichkeit als ein starkes Stück Kunst