Die Umkehrung als Prinzip

Kazuo Katases Skulptur „Schöpfung 2006-08“ im Kasseler Diakonie-Gesundheitszentrum

Der seit 1976 in Kassel lebende japanische Künstler Kazuo Katase (Jahrgang 1947) hat zuerst Malerei studiert. Doch ganz wesentlich ist sein Werk durch die Fotografie geprägt worden. Zahlreiche seiner Werke enthalten fotografische Gestaltungsmittel. Aus der Fotografie hat er auch die Umkehrung als bestimmendes Prinzip für sein Schaffen übernommen. Am sinnfälligsten wird das, wenn bei der Umwandlung des Negativs ins Positiv Schwarz und Weiß ausgetauscht werden. Durch die Fotografie und den Einsatz der Filter hat Katase außerdem gelernt, wie sich das vermeintlich weiße Licht in warmes (rötliches) und kaltes (blaues) Licht aufspalten lässt und hier ebenfalls das Prinzip der Umkehrung eingesetzt werden kann.

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Auch sein jüngstes Werk „Schöpfung 2006-08“ für das Atrium des Kasseler Diakonie-Gesundheitszentrums bezieht seine Faszination aus dem Prinzip der Umkehrung: Der winzige Schirmflieger der Löwenzahn-Pusteblume wird zu einer den Raum füllenden Skulptur, die unter der Lichtdecke schwebt. Das gefährdete Samenkorn, das unten an dem Schirmflieger hängt, entpuppt sich als das gläserne Bild unseres blauen Planeten, wie er vom Mond aus gesehen wird.

Größer könnte die Umkehrung nicht sein: Die gewaltige Erde, auf der wir leben, und auf der in jedem Frühjahr billionenfach Pusteblumen ihre zarten Schirmflieger aussenden, schrumpft zu einem miniaturhaften Samenkorn, das von dem winzigen Raumgleiter sicher durch die Atmosphäre getragen wird. Man kann es auch anders sehen – als mahnende Botschaft: Die Erde, die uns so unermesslich und beständig erscheint, erweist sich in dem am Schirmflieger hängenden Glasbild als klein und zerbrechlich. Ihr Schicksal und ihr Fortbestand hängen förmlich von dem Wohl kleinster Naturelemente wie dem des zarten Schirmgleiters ab.

Fremde Welten und unterschiedliche Schöpfungsmythen treffen sich in dieser Arbeit, abendländische und asiatische Kultur. Um Schöpfung, Leben und Tod geht auch in diesem Krankenhaus, in dem die Skulptur hängt. Um das Leben und Überleben wird hier gerungen, und die Station, in der Kinder zur Welt gebracht werden, ist nicht weit. Aber auch die Verbindung zur Natur ist gegeben: Unten im Lichthof wachsen Pflanzen und schaffen einen Übergang zum Patientengarten.

Kazuo Katase liebt das Spiel mit Kontrasten: In den Dimensionen des Lichthofes wird die 8,30 Meter hohe Skulptur zu einer zierlichen Form, die schwerelos durch den Raum schwebt. Die stilisierte Gestalt des Schirmfliegers mit ihrem 5,50 Meter großen Kreis aus gelben Adern wirkt so, als wollte sie durch das Glasdach davon fliegen. Aus der Ferne erscheint sie so leicht wie die wirklichen Schirmgleiter, die Kinder so gerne in die Luft blasen. In Wahrheit handelt es sich um eine massive Konstruktion aus Aluminium, Edelstahl und Glas, die fest in dem Gebäude verankert werden musste. Doch es ist dem Künstler im Verein mit den Statikern gelungen, genau diese Schwere und Massivität in der Gebäudestruktur aufzufangen, so dass die Arbeit selbst nur das Gefühl der Leichtigkeit vermittelt.

Die Arbeit wurde mit Hilfe von Sponsoren und eines Fördervereins realisiert.

September 2008

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