Erst vor wenigen Wochen hatte der in Kassel lebende japanische Künstler Kazuo Katase (Jahrgang 1947) im Düsseldorfer Kunstverein einen ganzen Raum in ein Bild verwandelt: Im eiskalten blauen Licht künstlicher Lampen beschwor er eine Szenerie, in der die romantische Versenkung in ein Klima der Bedrohung umkippte. Windstille nannte Katase diese Arbeit.
Jetzt bot ihm der Kasseler Kunstverein die Möglichkeit, diesem Raumbild ein weiteres hinzuzufügen. Unter dem Titel Schnee im Frühling schuf Katase wiederum einen Raum der Kälte: Fußboden, Wände und Decken erstrahlen im blendenden Weiß. Auf das Weiß des Bodens hat Katase ein großes blaues Rechteck (aus durchgesiebten Farbpigmenten) gelegt. Die Lampen an der Decke, die grün-blaues Licht von sich geben, nehmen die Rechteckform der Farbfläche auf. In der Mitte des blauen Feldes steht ein Schwert, das über dem farbigen Grund zu schweben scheint. Genau in der Zentralachse, in der auch das Schwert steht, ist in die Wand eine kleine Glasvitrine eingelassen, aus der heraus ein wunder- schöner blauer Schmetterling leuchtet.
Der Besucher taucht in dieses Bild ein, er wird Teil der meditativen Komposition und seine Wahrnehmung wandelt sich unmerklich unter dem Licht. Eine Hymne an die Farbe. Obwohl dies ein Bild der völligen Ruhe ist, wird man in das Schweben hineingezogen. Dieses Bild öffnet sich, ohne seine Rätsel aufzulösen. In ihm verbinden sich die getrennten Welten – Asien und Europa.
Hat man diesen Raum durchschritten, gelangt man in zwei kleinere, die auf den ersten Blick nicht durchgestaltet, sondern nur mit Objekten besetzt zu sein scheinen. Aber dieser Blick trügt. Auch hier arbeitet Katase, der seine ersten wesentlichen künstlerischen Aussagen als Fotograf formuliert hat, mit Lichtfiltern. In den kleinen Räumen hat er die Fensterscheiben mit Blaufiltern versiegelt, so dass eine normale Glühbirne, die in einem hausähnlichen Objekt erstrahlt, rötliches Licht von sich zu geben scheint.
Einen vollendeten Effekt erzielt Katase im letzten Raum: Während man anfangs glaubt, lediglich ein kleines Oberlicht sei mit einem rötlichen Filter versehen, ist es genau umgekehrt – nur das Oberlicht bleibt ungefiltert. Das einfallende Tageslicht wirkt, als käme es von der abendlichen Sonne; es fällt genau auf ein kleines Schiff mit goldenen Segeln, das hoch oben an der Wand auf einer Glasplatte schwebt, die von zwei Schwertklingen getragen wird. Ein faszinierend poetisches Bild, das aus dem Licht lebt. Hier ist Raum für Träume.
Diesen nach innen verweisenden Inszenierungen von Katase setzte der Kunstverein in seinem großen Saal ein Realbild des Belgiers Guillaume Bijl entgegen. Es handelt sich um ein Stillleben, das als gespielte Wirklichkeit aufgebaut wurde. Bijl entwirft Szenarien von Krankenhäusern, Atombunkern und Misswahlen. Hier nun stellt er das Modell für eine Wahlveranstaltung, eine Kandidatenkür vor: Vor einer riesigen Deutschlandfahne sind Rednerpult, Grüngewächse und Lautsprecher aufgebaut. Davor stehen zwölf für ein Essen gedeckte Tische mit je sechs Plätzen. An den Wänden prangen die Kassel-Fahne, die Plakate mit dem
Porträt des Kandidaten Hermann Lutz sowie die Aufschriften Neue Demokratische Partei , Eine neue Hoffnung und Hermann Lutz. Hinten an der Wand, fast versteckt, über Sesseln die Fotos von Industrieunternehmen. Ein eleganter Garderobenständer, weitere Grünpflanzen, eine Uhr, ein Telefon und eine Vitrine mit Wimpeln machen das Bild komplett.
Eine Partei präsentiert ihren Kandidaten und gibt an der Art und Weise, wie sie es tut, diskret zu verstehen, wem sie verbunden ist (Wirtschaftspartei). Ohne dass Bijl einer bestimmten Partei zu nahe tritt, entlarvt er in einem völlig in sich ruhenden und gelassenem Bild die Haltungen und Mechanismen des Wahlkampfes. Eine ebenso zwingende Inszenierung wie die von Katase, auch wenn sie viel handfester und spektakulärer wirkt.
HNA 17. 3. 1988