Uber den Fluss balancieren

Kazuo Katase schuf eine Installation, die in Kassel zwei Stadtteile verbindet

Der „Himmelsstürmer“, wie Jonathan Borofskys Skulptur „Man walking to the sky“ genannt wird, hat in Kassel ein Gegenstück bekommen. Borofskys bunter Maschinenmensch wandert auf einem Rohr unaufhaltsam himmelwärts. Doch, wo er landet, weiß man nicht, da irgendwann das Rohr endet. Die Skulptur, die Borofsky 1992 zur documenta geschaffen hatte, steht jetzt vor dem Kulturbahnhof als hoffnungsvolles Zeichen einer Stadt, die ihr Kulturprofil schärfen will.
An der documenta von 1992 war auch der in Kassel lebende japanische Künstler Kazuo Katase beteiligt. Er hat nun auf Grund einer Gemeinschaftsinitiative der Stiftung Alte Brüderkirche und des Unternehmers Hans-Dieter Müller seine Skulptur „Blue Dancer“ geschaffen, die zwischen der großen Fuldabrücke und der Karl-Branner-Brücke die Fulda überspannt.

Hier wandert ebenfalls eine Figur durch die Luft – sie balanciert auf einem Drahtseil. Das Seil hängt eben dort, wo die Balancierstange zu sehen ist, durch. Doch die Figur selbst hat sich verflüchtigt. Sie ist spürbar und im Grunde doch nicht zu sehen. Bestenfalls ist sie auf den Stab reduziert, dessen Gabelung an zwei Arme erinnert und der durch ein nach unten hängendes Gewicht in Form von zwei miteinander verbundenen Eimern in der Senkrechte gehalten wird.

Diese widersprüchliche Situation – dass man einen Drahtseiltänzer wahrzunehmen glaubt und ihn doch nicht sehen kann – gibt der Skulptur ihre poetische Kraft. Die Eimer stellen die Beziehung zum Fluss her, aus dem sie das Wasser schöpfen können. Sie sorgen für die handfeste Seite. Leicht und schwebend dagegen ist der Balancierstab, der tagsüber weiß erscheint.

Ihren Namen „Blue Dancer“ bezieht die Skulptur daher, dass die Balancierstange von der Dämmerung an blau leuchtet. Und je stärker die Nacht mit ihrer Dunkelheit vordringt, desto weniger wird von der Gesamtinstallation sichtbar, so dass im günstigen Fall der Zeitpunkt erreicht wird, zu dem man über der Fulda nur noch den blauen Leuchtstab schweben sieht.

Ein Antrieb für die Installation der Lichtskulptur war das Bemühen um eine künstlerische Arbeit, die die Kasseler Innenstadt sichtbar mit der wiedergegründeten Unterneustadt verbindet. Diese Verbindungsfunktion scheint zu klappen. Der Balanceakt gelingt.

HNA 28. 3. 2003

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